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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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beschien Siyakuus Gesicht, und ihre offenen Augen waren dem Fenster zugewandt. Für einen Moment glaubte die Schwester, Siyakuu sei vertieft in ein stilles Zwiegespräch mit dem Mond. Doch so war es nicht. Ihr Atem stand still.
    Malinowski traf am Donnerstagmorgen als Erster im Krankenhaus ein. Hans Kaspar fand ihn weinend auf der Bank im Flur.
    Sie ist tot, rief er, sie ist tot. Und Sie, wo sind Sie gewesen?!
    Ich? Ich dachte, Sie …?
    So hartnäckig, wie die beiden die Woche zuvor an Siyakuus Bett um deren Gunst gekämpft hatten, so überzeugt war ein jeder, dass Siyakuus Rauswurf ihm gegolten habe. Betroffen von der Erkenntnis, dass die eigene Anwesenheit einer Gesundung Siyakuus eher abträglich sei, hatten sich beide, ohne auch nur noch ein Wort miteinander zu reden, in ihre Hotelzimmer verkrochen.
    Malinowski hatte es dort nicht lange ausgehalten und sich nach Möglichkeiten umgetan, seine Forschungen fortzusetzen.
    So sagte er denn auf eine entsprechende Frage Hans Kaspars, er hätte Rutas entdeckt. Ja, tatsächlich, glauben Sie mir. Eine winzige Insel im Nordwesten, dort …
    Hans Kaspar fuhr ihn an: Hören Sie endlich auf, Malinowski! Hören Sie auf mit Ihren Hirngespinsten!
    Hans Kaspar wandte sich ab und ging. Er verließ das Krankenhaus und lief ziellos durch die Stadt, stundenlang, kam in die Randbezirke Honolulus und verließ auch die. Wohin, wusste er nicht. Nur innehalten, stehen bleiben, ausruhen konnte er nicht. Er spürte seine Füße nicht. Er spürte seinen Körper nicht. Sein Herz war wie taub. Ringsum nurLeere. Irgendwann, mitten auf einem Felsvorsprung, die Hand schon nach dem nächsten ausgestreckt, um weiter nach oben zu klettern, fiel er erschöpft in Schlaf.
    Da lag er. Möwen kreischten, ein Albatros steuerte seinen Nistplatz an, Seeschwalben jagten durch den aufkommenden Wind. Schwere graue Wolken gingen, kaum dass es dämmerte, über in die Dunkelheit.
    Am Morgen fand sich Hans Kaspar in einer Klippe auf halber Höhe zusammengerollt auf einem Vorsprung, kaum größer als die Sitzfläche einer Parkbank.
     
    Was Helder später in Hans Kaspars kaum noch entzifferbaren Aufzeichnungen über diese Tage fand, war nicht viel. Kurze nüchterne Notizen. Doch sicher, dachte Helder, wird er sich nach Siyakuus Tod gefragt haben, ob er dafür das Haus am Bahndamm verlassen habe, für diesen Blick ins Nichts.
    Bis dahin, während der Flucht, auf der
Dunera
, im Lager, auf Nauru, ja selbst in den verzweifeltsten Momenten in der Wüste, muss er immer geglaubt haben: Es hat einen Sinn.
    Auch wenn er sich wohl nie hatte vorstellen können, Siyakuu jemals wiederzusehen, ja wenn er nicht einmal mehr davon geträumt hatte, so hatte er sich doch auf der Suche nach etwas gewusst, dem er in seiner Jugend in Konya schon einmal so nah gewesen war: in sich selbst – Ahmad hätte gesagt, in Gott – zu Hause zu sein.
    Und nun? Wenn du dir eine Perle wünschst, musst du bis zum Grund des Meeres tauchen …
    Da oben auf der Klippe muss er, Ahmads Schuhe schon in den Händen, nahe daran gewesen sein, sie ins Meer zu schleudern. Sie werden dich zur Liebe führen, das waren Ahmads Worte gewesen. Vorbei, vorbei. Es war vorbei.
    Damals, in Krahnsdorf-Brandt, als Siyakuus Kartengruß ihn erreichte, hatte er nach seiner rastlosen Wanderungdurch die Felder die Schuhe wieder ausgezogen. Er hätte sonst alles hinter sich lassen und aufbrechen müssen …
    Einfach so, nur einer Jugendliebe wegen, geht man nicht weg. Lässt man nicht zwei Kinder zurück und zwei Frauen, ein sicheres Einkommen, ein Haus … Da geht man nicht. Noch dazu ins Ungewisse.
    Die Frauen fragten: Was hat sie denn geschrieben, diese Siyakuu? Die eine schob dabei die Blechkanne mit Gerstenkaffee, die andere den Mustopf über den Tisch.
    Willi quengelte: Erzähl das noch mal, das mit dem Tiger!
    Und Rosa schmatzend: Was für ein Tiger, Papi?
    Es könnte doch alles eine abenteuerliche Geschichte sein, die man beim Vesper seinen Kindern erzählt. Mehr nicht.
    Doch dann kam diese Nachtschicht. Es war kurz nach zwei, da meldete der Weichenwärter ein Problem mit Weiche 113. Der Weichenhebel ließ sich nicht bewegen. Hans Kaspar nahm den Langhammer und die Karbidlampe und machte sich auf den Weg über die Gleise. In Weiche 113 klemmte ein Schotterstein. Hans Kaspar hebelte ihn heraus. Er war schon auf dem Rückweg, als er an der 97 jemanden hantieren sah. Hans Kaspar löschte seine Lampe, schlich sich heran und ertappte doch tatsächlich diesen Kerl, wie er

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