Der Lavagaenger
versuchte, einen eisernen Bremsschuh in die Weiche zu schieben. Hans Kaspar griff zu und schaltete im selben Moment seine Handlampe an. Er konnte gerade das P auf der Jacke erkennen, dann traf ihn ein so heftiger Schlag, dass er taumelte, stürzte und mit dem Kopf auf eine der Schienen schlug …
Ein Geräusch. Hans Kaspar nimmt es wahr. Regen, es regnet. Hans Kaspar begreift, wie er da so liegt, wo er liegt und dass da noch ein Geräusch ist in dem Regen, ein Geräusch, das von einem Zug stammt, der sich nähert, das begreift er auch. Rechtzeitig, um sich aufzurappeln, von den Gleisen zu wanken … und doch gleich wieder zurück.Denn der Zug, der da kommt, ist der Vierzehnnullfünf, und der Vierzehnnullfünf wird ziemlich genau um zwei Uhr vierunddreißig über die 97 fahren, um von Gleis 5 auf Gleis 7 zu gelangen. Und mit der 97 war doch was, da hatte doch der Pole den Bremsschuh …
Hans Kaspar, den Bremsschuh in der Hand, kann eben noch zurücktreten, da rauscht und donnert der Zug an ihm vorbei und bläst ihm Staub und Rauch ins Gesicht. Da fahren eine Kompanie Infanterie und eine Batterie mit vier Feldgeschützen gen Frankreich, auch sie werden am 14. Juni über die Champs-Élysées paradieren.
Augenblicke später wandte sich Hans Kaspar, jetzt auf dem Weg zum Stellwerk, um den Sabotageakt telefonisch zu melden, noch einmal um und sah, nicht ohne Erleichterung, die Wagen des Nachtexpresses München–Berlin vorüberrattern. Es war jetzt also zwei Uhr
sieben
unddreißig.
Die Polizisten brachten einen Spürhund mit. Bei dem Regen ohne Sinn, sagte der Hundeführer. Sie suchten trotzdem das Gelände ab.
Derweil schrieb Hans Kaspar einen Bericht. Der Bericht wurde später von seinem Vorgesetzten mit einem handschriftlichen Vermerk versehen, worin er Hans Kaspar für das Kriegsverdienstkreuz vorschlug (Grund: Rettung eines Militärtransports und von ca. 160 Zivilisten, darunter Gauleiter Sauckel). Dennoch wurde im Zuge der Ermittlungen der Sicherheitskräfte eine Frage laut, in der ein Ton des Verdachts mitschwang: auf welche Weise genau der Saboteur denn entkommen sei?
Dann, nach alldem, kam Hans Kaspar nach Hause und dem Kriegsverdienstkreuz ganz nah.
Die Kinder in der Schule, die Frauen längst in der Hutfabrik, wo sie so kriegswichtige Dinge tun, wie Offiziersmützen nähen. Ihre Grüße und Wünsche mit Bleistift auf einem Zettel auf dem Küchentisch. An Wünschen ist es an diesem Tag nur einer: Holz für den Herd!
Wie Hans Kaspar so die Scheite aus dem Holzverschlag klaubt und einen davon, damit das Feuer sich besser anzünden lässt, mit dem Beil in dünne Hölzchen spaltet, vernimmt er ein Geräusch. Da bewegt sich doch was! Dort, wo auf zwei waagerecht aufgehängten Rundhölzern unterm Schuppendach die Kinderschlitten lagern, etliche leere Kartoffelsäcke und noch ein paar Latten, die man so aufhebt, weil es ja immer mal was zu reparieren gibt. Es bewegt sich was und poltert schließlich mitsamt Latten und Schlitten herunter, etwas, was Hans Kaspar nicht hingetan hat dort oben. Kein
was
, sondern: der Pole.
Ausgerechnet. Ausgerechnet in meinem Schuppen, denkt Hans Kaspar, da er nicht nur das
P
sieht, sondern in der ganzen Gestalt die von Weiche 97 erkennt.
Diesmal macht der Mann mit dem
P
keine Anstalten zuzuschlagen. Geht auch schlecht, weil er am Boden liegt und Hans Kaspar über ihm steht, das Beil in der Hand.
Rückwärts verlässt Hans Kaspar den Schuppen. Langsam, ganz langsam, nur nicht stürzen jetzt …
Er hat es geschafft, ist draußen, schlägt die Tür zu, drückt den eisernen Riegel über die Krampe, dann den Holzpflock, der an einem Bindfaden hängt, durch die Krampe vor den Riegel. Jetzt ist sie zu, die Tür.
Einen Moment lehnt Hans Kaspar an der Tür, drückt den Rücken, die Hände, den Kopf gegen das raue, längst vergraute Holz und fängt an zu denken. Denkt: Jetzt hab ich dich, du Sauhund. Und: Zur Polizei, schnell zur Polizei. Mit dem Rad, ja, am besten mit dem Rad. Nein, halt! Was, wenn er abhaut? Der Schuppen ist alt, ein paar kräftige Tritte, und die Bretter fliegen durch die Gegend. Also: Wache halten. Bis jemand kommt. Mittags kommen die Kinder. Da kann er den Willi schicken.
Hans Kaspar sitzt auf der Haustreppe, den Schuppen im Blick, das Beil in der einen, das Kinn in der anderen Hand. Er ist müde. Immer wieder fallen seine Augen zu.Er ist zufrieden mit sich. So zufrieden, dass er mindestens verdient hätte, sich ins Bett zu legen und zu schlafen.
Du Sauhund, du
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