Der Lavendelgarten
gegenüber aufs Kamingitter. »Was für eine Geschichte«, murmelte er.
»Ja. Allmählich denke ich, dass der frühe Tod meiner Tante durch ihre Affäre mit Frederik verursacht wurde.«
»Wir wissen beide, was nach dem Krieg mit französischen Frauen passiert ist, die sich mit dem Feind eingelassen hatten. Sie wurden geteert und gefedert oder von aufgebrachten Nachbarn erschossen«, sagte Jean.
»Warum ausgerechnet Frederik …?«
»Man kann sich nicht aussuchen, in wen man sich verliebt«, stellte Jean mit leiser Stimme fest.
»Und Sophias Baby? Ist das auch gestorben?«
»Wer weiß. Das wird Papa uns sicher noch erzählen«, antwortete Jean. »Aber für mich steht jetzt schon fest, dass Frederik ein guter Mensch war. Papas Geschichte beweist einmal mehr, wie sehr alles dem Zufall unterliegt. Welcher Mensch will schon kämpfen und töten? Sie hatten damals keine andere Wahl, egal, auf welcher Seite sie standen.«
»Was für eine Zeit des Leids und der Entbehrungen …« Emilie schüttelte den Kopf. »Da sieht man das eigene Leben in neuem Licht.«
»Stimmt. Nach zwei Weltkriegen hat die westliche Welt ihre Lektion zum Glück fürs Erste gelernt. Aber es wird immer Kriege geben. Der Mensch braucht Veränderung und schafft es leider nicht, den Frieden zu erhalten. Immerhin bringen die extremen Bedingungen des Krieges manchmal unsere guten Seiten zum Vorschein. Ihr Vater hat mit ziemlicher Sicherheit Constance das Leben gerettet, indem er selbst zu dem Café gegangen ist, um Venetia zu warnen. Und um Édouard zu schützen, hat Constance sich ihrerseits dem schrecklichsten Schicksal unterworfen, das eine Frau erleiden kann. Andererseits kann der Krieg wie bei Falk auch unsere schlechten Eigenschaften fördern. Macht korrumpiert.«
»Gott sei Dank bin ich keine wichtige Person«, erklärte Emilie schmunzelnd.
»Hören Sie auf, Ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Sie sind eine intelligente, schöne Frau und hatten obendrein das Glück, in eine angesehene, einflussreiche Familie hineingeboren zu werden. Aber lassen wir’s für heute gut sein. Ich muss morgen wie immer mit den Hühnern raus.«
»Sie haben recht, Jean. Ich kann mich tatsächlich glücklich schätzen. Möglich, dass ich das gerade erst zu würdigen beginne.«
Jean erhob sich. »Bis morgen dann.«
»Schlafen Sie gut, Jean.«
Zwanzig Minuten später lag sie in dem alten Bett, in dem Constance während ihres Aufenthalts bei Jacques vermutlich geschlafen hatte. Sie hörte, wie Jean die Toilette benutzte und anschließend die Tür zu seinem Zimmer schloss.
Emilie wurde bewusst, dass Jean und sein Vater für sie so etwas wie Familie waren. Mit diesem tröstlichen Gedanken schlief sie ein.
Als sie am folgenden Morgen die Küche betrat, machte Jean ein ernstes Gesicht.
»Papa hat Atemprobleme. Ich habe den Arzt angerufen. Kaffee?«, fragte er.
»Ja, danke. Kann ich irgendwie helfen?«
Jean legte den Arm um sie.
»Nein, er ist einfach alt und schwach. Tut mir leid, Emilie, aber heute wird Papa die Geschichte nicht weitererzählen können.«
»Sie müssen meinen Egoismus entschuldigen. Die Gesundheit Ihres Vaters hat natürlich Vorrang.«
»Immerhin heißt das, dass Sie so bald wie möglich wiederkommen müssen. Sie wissen, dass Sie während der Renovierung des Châteaus gern hier schlafen können.«
»Vielleicht bringe ich nächstes Mal meinen Mann mit«, schlug Emilie vor. »Schließlich ist es die Geschichte seiner Großmutter.«
»Ja. Darf ich es Ihnen überlassen, sich das Frühstück zu machen? Ich muss noch ein paar Dinge erledigen, bevor der Arzt kommt. Hoffentlich muss Papa nicht wieder ins Krankenhaus. Letztes Mal hat er sich dort überhaupt nicht wohlgefühlt. Vor Ihrer Abreise sehen wir uns jedenfalls noch.« Jean nickte und verließ die Küche.
Als Emilie nach dem Frühstück nach oben ging, um ihre Sachen zu packen, hörte sie Jacques im Zimmer neben dem ihren husten. Sie klopfte leise, öffnete die Tür und streckte den Kopf hinein.
»Darf ich reinkommen?«
Jacques winkte sie herein.
Der Anblick seines blassen, ausgemergelten Körpers in dem großen Bett erinnerte sie an ihre Mutter kurz vor ihrem Tod. Emilie setzte sich lächelnd zu ihm. »Ich wollte mich bedanken, dass sie mir die Geschichte meiner Familie während des Kriegs erzählt haben, und hoffe, das Ende zu erfahren, wenn es Ihnen wieder besser geht.«
Jacques öffnete den Mund zu einem Krächzen.
»Bitte nicht sprechen«, bat Emilie ihn.
Jacques packte ihre
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