Der Lavendelgarten
Bronchitis. Die kriegt er immer im Winter.«
»Ja.« Jacques öffnete auch das andere Auge. »Wen?«
»Den jungen Engländer, der neulich mit Emilie hier war. Sebastian …?«
»Carruthers«, ergänzte Emilie. »Er kommt aus Yorkshire in England. Nach der Hochzeit werde ich dort hinziehen, solange das Château renoviert wird. Aber ich werde oft hierherkommen«, versprach sie.
»›Carruthers‹ sagen Sie?« Jacques sah Emilie an. »Aus Yorkshire?«
»Ja, Papa«, bestätigte Jean.
Jacques schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist bestimmt ein Zufall, aber vor vielen Jahren habe ich eine Carruthers aus Yorkshire gekannt.«
»Tatsächlich, Papa? Wie das?«, fragte Jean.
»Constance Carruthers war während des Kriegs hier«, antwortete Jacques.
»So heißt seine Großmutter! Sebastian hat mir erzählt, dass sie damals in Frankreich war.« Aufgeregt fügte Emilie hinzu: »Ich trage ihren Verlobungsring.« Sie streckte Jacques die Hand hin, der den Ring genau betrachtete.
»Ja, das ist ihr Ring«, bestätigte er und schaute Emilie mit einer Mischung aus Erstaunen und Freude an. »Sie werden Constances Enkel heiraten?«
»Ja.«
» Mon dieu !« Jacques suchte in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch. »Ist das zu fassen? Constance …«
»Hast du sie gut gekannt, Papa?« Jean war genauso überrascht wie Emilie.
»Ja, sogar sehr gut. Sie hat viele Monate bei mir in dem Häuschen gelebt. Sie war …«, Jacques musste schlucken, »… eine einfühlsame, unerschrockene Frau. Lebt sie noch?« In seinen wässrig blauen Augen flackerte Hoffnung auf.
»Leider nein. Sie ist vor zwei Jahren gestorben«, antwortete Emilie. »Jacques, wie hat es Constance Carruthers hierher verschlagen? Würden Sie mir das erzählen?«
Jacques starrte ziemlich lange schweigend vor sich hin, bevor er nachdenklich die Augen schloss.
»Papa, Champagner?«, fragte Jean und hielt ihm ein Glas hin.
Jacques nahm es mit zitternder Hand und nippte daran. »Wie haben Sie Constances Enkel kennengelernt, Emilie?«, erkundigte er sich.
»Constance hat Sebastian kurz vor ihrem Tod von ihrer Zeit im besetzten Frankreich erzählt. Daraufhin hat er recherchiert, wo sich das Château unserer Familie befindet, und ist hergefahren, um es sich anzusehen«, erklärte Emilie. »Aber wie ich hat er keine Ahnung, warum sie hier war. Wir würden beide gern erfahren, was damals passiert ist.«
Jacques seufzte. »Das ist eine lange Geschichte.«
»Bitte, Jacques«, bettelte Emilie. »Ich würde sie wirklich gern hören. Mir wird mit jedem Tag klarer, wie wenig ich über meinen Vater weiß.«
»Édouard war ein wunderbarer Mensch und sollte für seinen Mut und seine Verdienste um Frankreich einen Ordre de la Libération erhalten, aber …«, Jacques zuckte traurig mit den Achseln, »… er hat ihn nicht angenommen, weil er das Gefühl hatte, dass andere ihn eher verdienen.«
»Jacques, könnten Sie nicht wenigstens den Anfang erzählen?«, drängte Emilie ihn. »Ich werde Constances Enkel heiraten und würde gern mehr über unsere Verbindung in der Vergangenheit erfahren.«
»Sie haben recht. Sie sollten Bescheid wissen. Schließlich handelt es sich um die Geschichte Ihrer Familie. Aber wo soll ich beginnen …?« Jacques überlegte kurz. »Ich glaube, bei Constance. Es gibt nicht viel, was ich nicht über sie weiß.« Er lächelte. »An den langen Abenden hier in der Hütte hat sie oft von ihrem Leben in England erzählt. Und wie es sie nach Frankreich verschlagen hat …«
Ich würd gern sehen
Ich würd gern sehen das Rot
Der Rosen im Garten.
Ich würd gern sehen das Silber
Des Mondes, wenn wir den Morgen erwarten.
Ich würd gern sehen das Blau
Des Meeres, wenn es rauscht.
Ich würd gern sehen das Braun
Des Adlers, wenn der Wind sein Gefieder bauscht.
Ich würd gern sehen das Lila
Der Trauben am Stock.
Ich würd gern sehen das Gelb
Der Sonne auf meinem Sommerrock.
Ich würd gern sehen das Rostbraun
Der Kastanien am Baum.
Ich würd gern sehen die Gesichter
Der Menschen, die mich lächelnd anschaun.
Sophia de la Martinières
1927, neun Jahre
7
London, März 1943
Constance Carruthers öffnete den einfachen braunen Umschlag, den sie auf ihrem Schreibtisch vorgefunden hatte, und las das Schreiben darin, in dem sie aufgefordert wurde, am Nachmittag zu einem Gespräch in Raum 505a des War Office zu erscheinen. Als sie aus ihrem Mantel schlüpfte, fragte sie sich, ob eine Verwechslung vorlag. Connie war zufrieden in der Registratur –
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