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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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zu hören.«
    Zwei weitere Schlangen kriechen auf das Bett zu.
    Gianni wartet nicht ab, dass ich ihn darum bitte: Er nimmt mich in die Arme und gibt mir einen Kuss auf die Schläfe, einen langen, traurigen Kuss, einen Schatten des Kusses, den er mir eigentlich geben will und den ich will und zu bekommen versuche, indem ich ihn am T-Shirt festhalte, mich hineinkralle.
    Er aber macht sich los, hält mich fest und zwingt mich, ihn anzusehen, wie er weint.
    »Wenn du jedoch verschwindest, dann komm nicht zurück. Ich will keine nächtlichen Telefonate, Scheißnachrichten, E-Mails. Hau ab und das war's dann. Du musst aus meinem Leben verschwinden.«
    Nachdem er wieder rübergegangen ist, spüre ich die Abdrücke seiner Finger auf meinen Armen, die schmerzen, mich stören und schließlich vergehen.
 
    »Wir sind fertig, freust du dich?«
    Andrea lacht und vervollständigt sein Ithaka. Aus dem Mittelpunkt der Insel dringen Blutspritzer, Schreie, Schwerter und Pfeile. In seiner grausamen, recht originellen Darstellung hat er einen Ort der Seele in einen Vulkan verwandelt, der Menschenteile ausspuckt. Und er hat sich dabei köstlich amüsiert.
    »Odysseus hat eine lange und gefährliche Reise unternommen. Dann ist er zu seiner Familie heimgekehrt und war glücklich.«
    Riccardi äußert sich nicht dazu, die Sache geht ihn nichts an. Er ist mehr daran interessiert, den leidenden Kopf des Antinoos mit Locken zu versehen, während dieser aus dem Vulkan geschleudert wird.
    »Aber es ist eine schöne Reise gewesen. Erinnerst du dich? Odysseus hat gegen die Skylla gekämpft, die seine Gefährten gefressen hatte, gegen die Charybdis, die sie hatte ertrinken lassen. Die Sirenen, die ihn betören wollten. Weißt du noch, was die Sirenen gemacht haben?«
    »Die Nutten«, sagt Andrea, ohne die Augen vom Blatt zu heben.
    »Ok, du weißt es nicht mehr.«
    Am Ende der Stunde lässt sich Silvia von Riccardi das Heft bringen. Ich schaue zu, wie er sich neben sie setzt, auf einige Fragen antwortet, und hoffe, dass ihr nicht in den Sinn kommt, die Sirenen ins Spiel zu bringen.
    Von hier aus gesehen, aus der hintersten Reihe, wirkt das Klassenzimmer größer, mit all den Schülern, die beim Schreiben die Köpfe heben und senken. Diese Bewegungen nehmen mich so gefangen, dass ich es gar nicht merke, als die Unterrichtsstunde zu Ende ist und eine neue beginnt. Silvia geht, Miranda kommt rein.
    Ich bitte Andrea, das Mathebuch rauszuholen.
    »Ich sehe, du hast alle Übungen gemacht.« Die Seiten, die ich ihm aufgegeben hatte, sind mit einem Bleistift ausgefüllt worden, der tiefe Furchen ins Papier gezogen hat.
    Drei Sechstel sind die Hälfte.
    Fünf Fünfzehntel sind ein Drittel.
    Zwölf Zwölftel sind ein Ganzes.
    »Du bist wirklich fleißig gewesen.«
    Andrea streckt eine Hand nach dem Buch aus, will überprüfen, ob das, was ich sage, auch wirklich stimmt.
    Die Klingel bestätigt den Beginn der Pause: Die Flure füllen sich mit Geschrei und Gelächter. Dann, viel zu früh, mischt sich in das Geschnatter das Geräusch der Schuhe, die sich beeilen, wieder umzukehren. Ich suche Andrea und finde ihn nicht.
    Ich muss mich auf die Zehenspitzen stellen, um ihn undeutlich zu sehen, wie er im Flur rumhüpft.
    »Los, Schildkröte, wir warten auf dich.«
    Andrea macht ein paar Schritte, dann bleibt er stehen, dreht sich um sich selbst und rennt los.
    Ich will mich gerade an seine Verfolgung machen, als mir klar wird: Andrea wollte sich am Getränkeautomaten versuchen, daran hochspringen, sich mit den Handflächen daran festhalten, hoffte auf eine andere, geheimnisvolle Oberfläche. Von der zigsten glatten Wand enttäuscht, wich er zurück.
    »Was ist Schildkröte ?«, fragt er.
 
    Alles, was wir jetzt noch tun müssen, ist, auf alle Arbeiten, die er im letzten Monat angefertigt hat, das Datum zu schreiben. Dann können wir sie in die Mappe legen und abgeben.
    »Also, Andrea, weißt du, was du machen sollst? Komm, fang an.«
    Andrea blättert die Seiten durch, auf die wir den griechischen Tempel, den etruskischen Bogen, die römische Säule, das Pantheon und einige Stilmerkmale neugotischer Kirchen und arabischer Moscheen gezeichnet haben.
    »Scheißbleistift«, sagt er, als er versucht, eine überflüssige Linie wegzuradieren.
    »Schreib einfach nur deinen Namen und das Datum drauf. So ist es schon in Ordnung.«
    Er radiert weiter, bis der Gummi in seinen Händen zerbröselt. Nicolini beginnt mit dem Aufrufen der

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