Der Leibarzt der Zarin
sich wieder auf sein Pferd, starrte in die Ferne, wo Moskau liegen mußte, und dachte an die Botschaft, die Schemski ihm hatte schicken lassen: Die erhabene Zarin hat einen Geliebten.
»Weiter«, befahl Iwan rauh. »Weiter! Schneller! Ich will in Moskau sein, wenn alle denken, ich säße noch in Dorpat bei Kurbski. Wird das ein Erwachen geben! Ich sehe sie schon vor mir – wie winselnde Hunde, alle, alle nur Hunde! Vorwärts!«
Er gab seinem Pferd die Sporen und beugte sich im Sattel nach vorn, so wie die Tataren reiten.
Ein Wahnsinniger, der über Tod und Leben befehlen konnte, näherte sich Moskau.
Zum erstenmal ritten keine Boten auf ihren kleinen, schnellen Steppenpferden nach Moskau voraus, um die Ankunft des großen Zaren zu melden.
Sonst glichen solche Botschaften immer einem Aufruf zu einer großen Säuberung: Jeder der Bojaren erforschte sein Gewissen, ob er etwas getan hatte, was Iwan erzürnen konnte. Jeder Hofbeamte brachte seine Bücher in Ordnung, und der Oberhofmeister ließ die Gemächer des Kremls putzen. Allein der Zarewitsch, still, traurig wie immer, bleich und in sich gekehrt, blieb in seinen Räumen und bereitete sich nur darauf vor, seinen Vater dreimal auf die Wange zu küssen.
Diesmal jedoch war es anders. Moskau ahnte nichts von der Nähe des Zaren. Nur ein einziger Bote war unterwegs, und der kam aus Moskau. Es war ein Meldereiter des Fürsten Basmanow und brachte einen Brief seines Herrn für den Zaren.
»Schemski ist tot«, sagte Iwan, nachdem er den Brief gelesen und dann zerrissen hatte. Er sah seine Begleiter an, und sein Blick war hart und kalt wie ein gläsernes Auge. »Wir sollten Schemski vergessen. Er hat nie gelebt.«
Aber das, was der tote Bojar behauptet hatte, lebte in Iwans Herzen weiter. Es war ein Gift, das ihn langsam zerfraß.
Während der Zar Stunde um Stunde nach Süden ritt, dachte er an die Zeit, in der er Marja zum erstenmal gesehen hatte. Er dachte an den tatarischen Krieg, an die Niederwerfung des Tscherkessenfürsten Temrjuk Tscherkassky, an das Meer von Blut, das damals über die Steppen geflossen war.
Auf diesem von Blut getränkten Boden hatte er Marja kennengelernt. Zum erstenmal hatte er sie gesehen als eine Frau unter hundert anderen, die stumm und bewegungslos das freie Feld umstanden, auf dem der Zar seine Feinde hatte bestrafen lassen.
Damals war Iwan in seiner schwarzen Rüstung die Reihe der Weiber entlanggeritten, bis er Marja entdeckt hatte. Jung und so schön, wie er nie eine Frau gesehen hatte, mit langem schwarzem Haar. Der Blick aus ihren brennenden, dunklen Augen hatte Iwan gezwungen, sein Pferd anzuhalten.
Schweigend hatten sie sich angeschaut, schweigend war Iwan weitergeritten. Er hatte, ohne daß es jemand gemerkt hatte, ein Duell verloren. Das herrliche Weib hatte nicht den Blick gesenkt, hatte nicht den Nacken gebeugt. Sie hatte dem Auge des erhabenen Zaren getrotzt – im vollen Wissen, daß damit ihr Tod sicher war. Aber Iwan hatte keinem Strelitzen gewinkt. Er hatte kaum merklich gelächelt – ein grausames oder anerkennendes Lächeln – und war weitergeritten. Als er am Ende der Frauenreihe angekommen war, hatte er die rechte Hand mit dem Handschuh aus Eisenstacheln gehoben. Das Morden hatte aufgehört. Der Blick Marjas hatte Hunderten von Tataren das Leben gerettet.
Von da an liebte ich sie schon, dachte Iwan und gab seinem Pferd die Sporen. Sie ist die schönste Frau in meinem Leben, die wildeste und zärtlichste, ein Weib, das ständig erobert werden muß. Das fesselt mich an sie, das macht mich, den größten Herrscher dieser Welt, willenlos in ihren Armen. Wenn ihr weißhäutiger Körper vor mir liegt, verliere ich den Verstand. Ich weiß, daß ich ihr jedesmal unterliege, daß ich am Morgen leer und ausgehöhlt auf die Felle meines Bettes taumle. Und dann steht sie da, nur von ihrem Haar verschleiert, und ich höre ihre aufreizende Stimme: ›Iwanuschka, wie schön ist das Leben …‹ Und ich liege auf dem Bett und kann nur sagen: ›O Täubchen, du bringst mich mit deiner Schönheit noch um!‹
Darf man eine solche Frau Wochen und Monate allein lassen? Wo soll sie hin mit ihrer Glut?
Der Zar starrte über den Hals seines Pferdes in die Ferne. Mein Reich erdrückt mich! dachte er. Und ich erobere immer mehr. Im Osten soll die Welt sich weiten zu unendlichen Wäldern, durch die riesige Flüsse strömen – ein Land voll unermeßlicher Schätze, voller Zobel und Biber, voll Gold und Diamanten, Salzgruben und
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