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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fruchtbarem Boden. Ein Land wie ein Märchen: Sibirien.
    Kaufleute und Abenteurer, Mönche und einsame Forscher haben von ihm berichtet. Welch ein Land – wenn alles wahr ist, was man sagt! Welch ein Reichtum für Rußland, wenn man es erobert!
    Was ist dagegen das englische Reich mit seiner stolzen Königin Elisabeth I.? Was Maria Stuart mit ihrem Schottland? Und welch ein Wicht ist dieser Ferdinand I. – dieser deutsche Kaiser aus dem Habsburger Geschlecht! Und diese Spanier! Ihr Karl V., der Großtönende, mit seinem ›In meinem Reich geht die Sonne nie unter‹ – wo ist er jetzt? In einem Kloster ist er gestorben. Und sein Erbe, dieser Philipp II., oder die französischen und schwedischen Könige – alles Nullen, alles rostige Eisentöpfe gegen Rußland und seinen Zaren!
    Wo gibt es ein Land, das unermeßlicher, schöner, reicher, wilder und mächtiger ist als Rußland? Man muß nur noch Sibirien dazugewinnen …
    Iwan hob den Kopf mit dem spitzzulaufenden Kettenhelm. Marja wird mir dabei helfen, dachte er. Sie wird an meiner Seite mein Reich vergrößern. Ich werde sie nie mehr allein lassen.
    »Schneller!« schrie der Zar. »Schneller! Wer müde ist, soll vom Pferd fallen und verrecken …«
    Bis elf Uhr vormittags hatte Trottau im Kreml die Kranken behandelt und Pülverchen und Essenzen verordnet. Der Zarewitsch hatte – nachdem er Trottaus Rat befolgt hatte, viel frische Luft in sich einzusaugen – einen Schnupfen bekommen und sich wieder in seine dumpfen Gemächer zurückgezogen.
    »Ich leide, Trottau«, jammerte er kläglich, als er sich nach einer gründlichen Untersuchung wieder anziehen konnte. »Es ist, als sei ich in die Welt gesetzt worden, um an Rußlands Wetter wieder einzugehen.« Er schenkte Trottau ein Glas ungarischen Wein ein und blickte aus dem Fenster in den Kremlgarten. »Ich möchte so gern nach Frankreich. Kennst du Frankreich?«
    »Einiges davon. Rouen, Reims, Orléans, Paris …«
    »Paris! Das muß das Herz der Welt sein.«
    »Der Zar sagt: Herz und Nabel der Welt ist Moskau«, entgegnete Trottau.
    »Moskau! Sieh dich um, was ist Moskau? Eine einzige Richtstätte. Häuser, auf Gebeinen erbaut. Steine, mit Blut zusammengeklebt. Ist das die Welt?«
    »Ihr solltet mit dem Zaren über Euren Wunsch sprechen, nach Paris zu reisen, Herr.«
    »Mein Vater spricht nicht über Paris. Er würde mir Paris solange mit einem Stock über den Rücken schlagen, bis ich das Wort vergessen habe.« Der Zarewitsch drückte die Stirn gegen die mit Seide bespannte Wand. »Vater …«, sagte er leise. »Jeder spricht das Wort mit Ehrfurcht und Liebe aus – ich friere, wenn ich es sage.« Er vermied es, Trottau anzusehen. »Ihr könnt gehen, Arzt. Vergeßt unsere Unterhaltung.«
    »Ich habe noch eine Bitte«, sagte Trottau. Er trat neben den Zarewitsch ans Fenster. Vor ihm lag ein durch hohe Mauern abgeteilter Garten. Blühende Büsche, saftiges Gras, schattige Baumgruppen, ein geschnitzter hölzerner Brunnen mit einem Zugbalken. Ein fast dörfliches Bild wie am Dnjepr oder an der Wolga, wenn nicht die roten Ziegelmauern gewesen wären, die diesen Frieden umgaben und gefangenhielten.
    »Ich sollte dir etwas geben können?« fragte der Zarewitsch bitter. »Das einzige, was ein gefangener Vogel kann, ist singen.«
    »Ich bitte um die Gnade, Euren Garten da unten benutzen zu können.«
    »Ich schenke ihn dir!« Der Zarewitsch lachte gepreßt. »Wozu willst du ihn, Arzt? Willst du Kräuter züchten gegen den Drang, hier herauszukommen? Ich werde der erste sein, der sie stündlich begießt.«
    »Ich will ein Stück Sonne, Himmel und Luft haben, das kein anderer betritt außer mir und meinen Patienten. Kranke Menschen, die Luft nötig haben als Medizin.«
    »Ich kenne deine verrückten Ideen, Arzt. Schick deine Kranken an die Luft – mich kümmert es nicht. Ich will dich nur ab und zu sehen und dir das sagen, was ich dem Zaren nie sagen kann. Ein Eimer, in den ich schmutziges Wasser schütte.«
    »Das ist ein guter Tausch.« Trottau verbeugte sich tief. Jetzt hat Xenia alles, was sie braucht, dachte er. Auf meinen Armen werde ich sie an die Sonne tragen, und die Sonne wird die Krankheit aus ihr hinaussaugen wie den Tau der Nacht.

6
    Um die Mittagszeit kam Trottau wieder in die Tiefe der unterirdischen Gänge und Kammern. Diesmal nahm er eine hellstrahlende Öllampe mit, für Massja einen Korb mit frischem Obst und für Igor Igorowitsch Blattjew eine Flasche Wodka.
    Diesmal irrte Trottau nicht lange durch

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