Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
wird die Krankheit aus ihren Lungen hinausgeblasen werden.«
    »Du willst sie jeden Tag nackt vor mein Fenster legen?«
    »Ins Gras, Herr. Ihr braucht nicht hinzusehen …«
    »Was verlangst du von mir, du Idiot! Bei ihr werden Blinde sehend.«
    »Sie muß Ruhe haben, Herr, absolute Ruhe – und Sonne, Glück und Luft … Das wirkt Wunder.«
    »Und für das Glück bist du selbst die Medizin, he?« Der Zarewitsch kam in den Raum zurück und blieb vor Trottau stehen. »Du führst sie morgen wieder in den Garten?«
    »Ja.«
    »Dann werde ich zu ihr gehen und sie küssen. Ich – nicht du, Arzt!«
    Trottau schüttelte langsam den Kopf. »Es wird nicht möglich sein, Herr.«
    »Willst du es verhindern? Willst du mir etwas verbieten – mir, Iwan, dem Sohn des Zaren?«
    »Ich kann dich nur warnen, Herr. Die Schwindsucht ist eine sehr ansteckende Krankheit.«
    »Aha!« Der Zarewitsch lachte. Seine Augen verengten sich. »Ein Iwan steckt sich an, aber ein deutscher Arzt nicht.«
    »Es ist gleichgültig«, erwiderte Trottau, »ob ein kleiner Arzt stirbt. Aber es ist eine Tragödie für Rußland, wenn der künftige Träger der Krone eines Mädchens wegen zugrunde geht.«
    »Ich hasse diese Krone!« schrie der Zarewitsch. »Ich hasse sie! Du weißt es doch, Arzt!«
    »Aber das Volk hofft auf Euch, Herr. Es glaubt an Iwan V., während es Iwan IV. erträgt. Es wartet auf Euch wie ein Feld nach langer Dürre auf den Regen. Es ist eine schwere Krone, ich weiß es.«
    »Eine Dornenkrone, Arzt!« Der Zarewitsch sank in den Sessel. Sein Gesicht veränderte sich wieder. Anastasia, die Sanfte, seine Mutter, die die Bojaren hatten vergiften lassen, um die Kraft des Zaren zu brechen, und das Gegenteil erreicht hatten, Anastasia kehrte wieder in des Zarewitsch Wesen zurück, machte ihn ruhig, besonnen, traurig über sich selbst. Das Aufflackern des wilden Blutes von seinem Vater war erloschen. »Muß ich sie tragen, diese Krone?«
    »Ja. Um Rußlands willen.«
    »Du bist der beste Beichtvater, Trottau.« Die Stimme des Zarewitsch wurde wehmütig. »Ich werde nie ein großer Zar sein.«
    »Ein guter Zar, Herr. Das ist mehr wert.«
    »Kann die Welt einen guten Zaren ertragen? Überall ist Krieg. Die Polen, die Litauer, die Schweden, die Tataren … Wir leben auf einer Insel mitten in einem Meer aus Feuer. Was nützt da Liebe?«
    »Ich weiß es nicht, Herr. Man hat noch nie versucht, die Völker mit Liebe zu regieren.«
    »Wo wohnt sie?«
    »Wer?«
    »Das Mädchen in meinem Garten.«
    »Ich weiß es nicht. Irgendwo in Moskau. Ich ging spazieren, begegnete ihr, sah, daß sie krank war, und holte sie in den Kreml zur Untersuchung.«
    »Nur weil sie schön ist? Es gibt Tausende von kranken Menschen in Moskau.«
    »Ja«, antwortete Trottau langsam, »ihre Schönheit war es. So etwas darf nicht wie eine Kerze verlöschen, sagte ich mir. Und ich sage es auch zu Euch, Herr: Laßt sie nicht verlöschen! Gebt ihr diese Stunde in Eurem Garten, laßt sie leben …«
    »Sie muß leben!« Der Zarewitsch atmete tief. »Ich werde jeden Tag am Fenster stehen und sie anschauen. Und wenn du sie küßt, werde ich dich hassen wie meinen Vater. Hinaus, Arzt, ehe ich dich von den Wachen köpfen lasse …«
    Schnell, ohne Widerrede, verließ Trottau die Gemächer des Zarewitsch.

8
    Sie ritten und ritten, in langer, auseinandergezogener Kolonne; der Zar allen voraus, denn keiner hatte so gute Pferde wie er. Sie ritten, bis Zar Iwan hundert Werst vor Moskau aus dem Sattel rutschte und schwankend neben seinem dampfenden Rappen stand. Er lehnte sich gegen das Pferd und lehnte den Kopf auf den Sattel, aber nur so lange, bis seine Begleiter ihn eingeholt hatten. Mit zusammengebissenen Zähnen kam er ihnen aufrecht entgegen: Einen müden Zaren, einen schwankenden Zaren – nie würden sie ihn so erleben!
    »Noch einen Tag und eine Nacht«, sagte Iwan und zeigte in die Ferne, die von der Sommersonne wie Messing leuchtete. »Hier schlagen wir ein Lager auf und schöpfen Atem.«
    Der Bojar Lubeskoi überwachte das Aufstellen des kaiserlichen Zeltes. Ein Diener kam mit den Gepäckpferden herbeigeritten, lud Kisten von den Rücken der geschundenen Gäule und brachte dem Zaren seinen Mantel – einen golddurchwirkten, langen tatarischen Mantel, mit feinstem Zobel besetzt – und eine hohe, spitze Mütze, mit Perlen bestickt und mit federgleichem Hermelin eingefaßt. Iwan zog sein Kettenrüstung aus, warf den Helm ins Gras und schleuderte die Eisenhandschuhe mit den langen

Weitere Kostenlose Bücher