Der Leibarzt der Zarin
Dornen hinterher. Er bezwang sich, zu zeigen, wie wohl ihm die Erleichterung tat. Mit düsterem Blick beobachtete er den Aufbau seines runden großen Zeltes und das Einrammen der Zarenfahne neben dem Eingang. Er hatte wie betend die Hände über der Brust gefaltet und dachte an Moskau, an Marja, seine große, alle Himmel einreißende Liebe, und an die Botschaft des Bojaren Schemski, der dafür getötet worden war: Die erhabene Zarin betrügt Euch, großer Herrscher.
Fürst Lubeskoi kam um das Kaiserzelt herum. »Wann reiten wir weiter, Erhabener?« fragte er.
Iwan schrak aus seinen Gedanken. »Warum willst du das wissen?«
»Der Pferde wegen. Sie müssen sich ausruhen.«
»Vor der Kremlmauer können sie zusammenbrechen … bis dahin müssen sie galoppieren.«
»Auch die Kraft eines Pferdes ist einmal zu Ende, Erhabener. Gönnt zwölf Stunden Ruhe … Oder will der Zar aller Zaren mit seinem eigenen Sattel auf dem Rücken durch Moskau laufen?«
Es war schwierig, immer den Augenblick abzupassen, in dem Iwan solche Scherze ertrug. Lubeskoi hatte einen guten Moment gewählt. Iwan lachte laut und steckte die Hände in den tatarischen Seidenmantel. »Wir werden frisch wie nach einem Jagdausflug in Moskau einreiten. Sorg für die Pferde, Lubeskoi. Wir müssen schneller sein als alle Münder in Moskau …«
»Werden wir am Tag oder in der Nacht kommen, Erhabener?«
Der Zar sah in die Weite. Fern begann ein hoher Wald, das Jagdgebiet von Sabnrowo. Hier jagt man Bären und Hirsche und die schönsten Biber im Umkreis von fünfhundert Werst.
Marja betrügt mich, dachte Iwan. Sie wird es nicht am hellen Tage tun, nicht in meinem Bett, während die Kammerfrauen herumstehen.
»Wir werden bei Nacht in Moskau einreiten«, sagte er gepreßt. Seine kleinen Augen funkelten jetzt wieder böse und gnadenlos. »Lubeskoi … es gibt Vögel, die beginnen erst in der Nacht zu leben.«
»Die Nachtigall großer Zar.«
»Und die Eule, Lubeskoi, du Narr!« Iwan wandte sich ab und ging zu seinem fertig aufgestellten Zelt. »Tränke die Pferde!« schrie er über die Schulter zurück. »Auch ich will trinken!«
Ich trinke Rache, dachte er und schlug den Teppich vor dem Zelteingang zur Seite. Ein deutscher Arzt … wenn mir eine einzige seiner Antworten nicht gefällt, soll sich Igor Igorowitsch Blattjew mit ihm beschäftigen …
In der Nacht war Trottau wieder bei Marja, hielt sie in seinen Armen und dachte an Xenia.
»Ich liebe dich, mein blonder Bär«, sagte die Zarin, »ich liebe dich! Wenn du es verlangst, schütte ich dem Zaren Gift in den Wein, dem Zarewitsch, den Romanows und Godunows … Alle rotte ich aus, alle, und wir werden allein über Rußland regieren. Befiehl, daß ich sie alle töte!«
»Ich bin kein Zar«, entgegnete Trottau müde. »Ich bin nur ein Arzt und der Geliebte der Zarin.«
»Du bist ein Mann! Bei Gott, sieh dich um – wo gibt es noch Männer? Nur Puppen sind es, nur dumme Schädel, die man abschlagen darf, und nichts ist an ihnen verloren. Sollen wir Iwan töten?«
»Noch mehr Blut, Marja? Kann man in diesem Lande nicht lieben, ohne zu töten?«
»Iwan ist in Litauen. Wenn er zurückkommt, kann ich dich seltener sehen. Ich werde es nicht ertragen. Ich kann Iwan selbst nicht mehr ertragen! Ich werde ausspucken, wenn er mich anfaßt, und mir die Haut wegbrennen, die er berührt hat …«
Trottau gab keine Antwort darauf. Er hielt Marja in seinen Armen, küßte sie und wartete, bis sie eingeschlafen war. Dann stieg er vorsichtig aus dem Bett, löschte alle Fackeln bis auf eine, die in einem Eisenring neben der verriegelten Tür stak, und setzte sich ans Fenster. Er schob den schweren Teppich, der über einer vergoldeten Stange hing, zur Seite und blickte hinaus in die helle Sommernacht.
Hinter den Bäumen und der Krönungskirche mit den goldenen Zwiebeltürmen zog sich die Kremlmauer rund um den heiligsten Bezirk der Russen.
In ein paar Wochen ist alles vorbei, dachte Trottau. Dann ist Iwan zurück aus Litauen. Dann wird es auch für Marja unmöglich sein, einen Platz zu finden, an dem sie mich lieben kann. Vielleicht wird es sie innerlich zerreißen. Vielleicht aber gewöhnt sie sich wieder an Iwan …
In ein paar Wochen, dachte er …
Nur hundert Werst von Moskau entfernt, saß der Zar zur gleichen Zeit in seinem Zelt, schlaflos, von Zweifeln und Eifersucht zernagt und starrte in das flackernde Licht der Öllampe.
Für Andreas Daniel von Trottau blieben keine vierundzwanzig Stunden mehr.
Wieder
Weitere Kostenlose Bücher