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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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aus breiten schmiedeeisernen Stäben umschloß die Galerie. Rechts führte eine steile Treppe hinunter, umgeben von einem Gitter. Sie sah aus wie ein Käfig mit Stufen, an dessen Ende sich wieder eine Tür befand – eine dicke Eisenplatte, die niemand einrammen konnte.
    Blattjew und Trottau traten hinaus auf die Empore.
    Ein fast kreisrunder Raum lag unter ihnen. Von der Decke hingen große Öllampen herab, die Tag und Nacht brannten. Es gehörte zu Blattjews Aufgaben, sie nachzufüllen. Um das zu tun, mußte er sie mit einem langen Stab, an dem ein Haken befestigt war, heranziehen. Die Lampen pendelten an dicken Ketten. Der fettige Ölqualm hatte die Steine über ihnen geschwärzt; durch viele kleine Löcher in der Decke zog der Rauch ab.
    Blattjew trat an das Geländer der Empore und blickte hinunter.
    Unter ihnen, etwa vier Meter tiefer, auf einem dicht mit Stroh bedeckten Boden, hockten drei mächtige, schwarzbraune, klobige Gestalten. Jetzt, als sie die Nähe von Menschen witterten, richteten sie sich auf, lehnten sich mit den breiten Rücken an die Quaderwand und hoben die dicken Köpfe. Über den spitzen, glänzenden Schnauzen glitzerten kalt, böse, ausdruckslos in ihrer sich nie verändernden Todesdrohung die kleinen Augen.
    Bären! Mit den Tatzen, aus denen lang und gebogen die Nägel ragten, stützten sie sich auf ihre Oberschenkel.
    Als Trottau neben Blattjew ans Gitter trat, begannen sie lautlos die Köpfe hin und her zu wiegen. Einen Rhythmus schrecklicher Erwartung.
    Trottau lehnte sich an die Eisenstäbe und starrte hinab. Er hatte oft Bären gesehen. Auf den Jahrmärkten waren die Bärenführer gerngesehene Gaukler, die ihre dressierten Tiere nach dem Klang einer Flöte tanzen ließen. Sie machten Purzelbäume, bettelten mit erhobenen Tatzen, deren Krallen gestutzt und außerdem durch dicke Lederfäustlinge unschädlich gemacht worden waren. Die Tiere trugen einen Ring durch die Nase, und jeder Zug des Bärenführers an der daran befestigten Leine war so schmerzhaft, daß der Bär willenlos allen Befehlen gehorchte.
    Aber was waren solche Jahrmarktsbären gegen diese drei gewaltigen Bestien, die hier unter dem Kreml lebten und Trottau anstarrten! Es waren Tiere von kraftvoller Schönheit, wahre Muskelberge, mit einem wildwuchernden Haarpelz.
    Blattjew winkte den Tieren zu. Sein Grunzen und Lallen veränderte sich. Trottau unterschied Tonschwingungen, und er merkte, daß Blattjew die Bären beim Namen nannte und zu ihnen sprach. Wie Massja schienen sie ihn zu verstehen. Sie fielen zurück auf die Vordertatzen und gaben die Kampfhaltung auf. Zufrieden trotteten sie in eine Ecke, wo nahe der Eisentür ein Kübel mit Fleisch stand.
    »Was … was hat das zu bedeuten?« sagte Trottau. Erregung und Gestank ließen ihn kaum atmen.
    Blattjew beugte sich über das Geländer und zeigte nach unten. Trottau folgte Blattjews ausgestreckter Hand mit dem Blick – und da sah er sie: ein paar Knochen, abgenagt, verstreut im Stroh, im ersten Moment kaum zu bemerken. Aber als Arzt, als Anatom, der den Knochenbau des menschlichen Körpers studiert hatte, erkannte Trottau sofort, daß es Menschenknochen waren …
    Trottau zuckte zurück. Übelkeit überfiel ihn. Er lehnte sich gegen die Wand und schloß die Augen.
    »Mein Gott«, stammelte er. »Mein Gott, Blattjew … Das ist dein Leben?«
    Nun verstand er auch warum der Zar Blattjew die Zunge hatte herausreißen lassen. Was hier unten geschah, sollte nie an die Oberwelt dringen, sollte nie erzählt werden.
    »Ich muß hinaus«, sagte Trottau schwach. »Igor Igorowitsch, ein Arzt muß starke Nerven haben – aber das ist zuviel. Laß mich hinaus!«
    Er riß die schwere, eisenbeschlagene Tür auf und flüchtete von der Empore. Er rannte den Gang entlang bis zur zweiten Tür und wartete dort. Hinter ihm kreischte der Schlüssel im Schloß, der Geruch ließ nach. Die Luft schein geradezu rein nach dem Gestank im Bärenzwinger. Langsam kam das Tappen von Blattjews Schritten näher.
    In dem quadratischen Mittelteil ihrer unterirdischen Wohnung, von dem aus die Zimmer abgingen, wartete Massja. Groß, dunkel, ein schwarzer Turm, das Kopftuch weit übers Gesicht gezogen. Trottau atmete tief die kalte Luft ein – für die Blattjews mußte sie hier so rein sein wie für ihn der Wind aus einem wolkenlosen, blauen Himmel. »Bist du nun glücklicher?« fragte Massja hart.
    Trottau schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er leise. »Nein, Massja Fillipowna … wo ist Xenia?«
    »Ich

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