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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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um die Mittagszeit – der Zar ritt langsam durch die dichten Wälder von Sabnrowo, denn hier sah ihn niemand, und er würde erst kurz vor Moskau wieder aus den Waldungen auftauchen – holte Trottau Xenia in ihrem unterirdischen Labyrinth wieder ab zum Ausflug in die Sonne. Xenia wartete schon auf ihn. Mit ausgebreiteten Armen lief sie ihm entgegen, als sie seinen Schritt von weitem durch die steinernen Gänge hallen hörte und dann den Schein seiner Lampe sah.
    Blattjew stand auf dem runden Steinplatz, von dem die Türen der Wohnung abgingen, und klapperte mit einem großen eisernen Schlüsselbund. Massja, schwarz eingehüllt wie immer, lief unruhig um ihn herum, als könnte sie ihn dadurch auf die Stelle bannen.
    »Er ist verrückt geworden, der Igor Igorowitsch!« schrie sie sofort, als Trottau in Hörweite war und Xenia ihn umarmte. »Dankbar will er sich zeigen, der alte Narr! Sag ihm, Arzt, daß du seinen Dank ablehnst …«
    Blattjew grunzte laut. Er stieß Massja, die ihm den Weg vertrat, grob zur Seite, so daß sie gegen die Wand flog.
    »Geh nicht mit ihm!« Massja streckte die gefalteten Hände vor und fiel dann auf die Knie. »Um Jesus willen, um Gottes Segen willen … geh nicht mit ihm! Er ist verrückt! Sieh es dir nicht an … bitte!«
    Über Blattjews bärtiges Gesicht zog ein Lachen. Trotz der wildwuchernden Haare sah man deutlich, welche Freude es ihm machte, dem Retter seiner Tochter sein größtes Geheimnis zu verraten. Das Geheimnis, um dessentwillen er seit zwanzig Jahren ohne Sonne, ohne frische Luft lebte. Das Geheimnis, dessen Preis seine Zunge gewesen war.
    Er winkte mit dem Schlüsselbund, stieß eine dicke Bohlentür auf, riß eine Fackel aus dem Ring und tappte voran. Trottau folgte ihm.
    Massja blieb zurück. Sie hatte Xenia an sich gerissen und hielt sie fest, als greife der Teufel nach ihr.
    Blattjew schwenkte die Schlüssel und grunzte fröhlich. Mit der anderen Hand hielt er die Fackel hoch. Ein Luftzug traf Trottau.
    Eine Luft, die ihm den Atem nahm, beißend und ätzend, der Gestank von Kot, Urin und faulendem Fleisch.
    Blattjew drehte sich um, und in das Rasseln der eisernen Schlüssel klangen die Töne, die aus seiner Kehle kamen, wie Gesang.
    Sie gingen einen breiten Gang entlang, der in einem saalähnlichen Raum mündete. Hier waren die Decken höher, zu einem Kreuzgewölbe gefügt und von Säulen gestützt. Schwere Leuchter aus geschmiedetem Eisen mit dicken Kerzen hingen von der Decke herab.
    Sie brannten jetzt nicht. Nur zwei armselige Fackeln erhellten den großen Raum – ein Licht, das von den dicken Quadern aufgesogen wurde und diesem Teil der unterirdischen Welt eine beklemmende Atmosphäre verliehen, die einem fast den Atem nahm. Dazu der beizende Geruch, der von Schritt zu Schritt stärker wurde und den selbst die in das Kreuzgewölbe eingelassenen Entlüftungslöcher nicht aufzusaugen vermochten. Er hatte sich in die Steine hineingefressen.
    Blattjew blieb stehen. Er blickte sich wieder um und lachte Trottau zu, der ihm zögernd gefolgt war. Als hinter ihm die dicke Eichentür zugefallen war, die das Geheimnis unter dem Kreml von der Wohnung der Blattjews trennte, hatte Trottau die Ahnung von etwas Drohendem, Unheimlichen befallen. Das fröhliche Grunzen Blattjews empfand er jetzt wie eine Beruhigung, fast wie einen nötigen Schutz.
    Vor ihnen war die Wand von einem doppelflügligen Tor unterbrochen. Es war eine Tür aus den dicksten Eichenbalken, die Trottau je gesehen hatte. Breite Eisenbänder mit dicken Nietnägeln hielten sie zusammen. Als Trottau neben Blattjew trat, merkte er, daß durch diese Tür der widerliche Gestank hereindrang.
    »Muß ich das sehen?« fragte Trottau. Er kannte seine eigene Stimme nicht wieder – sie klang so dumpf, als habe sie in diesen Gewölben jedes Leben verloren.
    Blattjew nickte. Er stieß den großen, eisernen Schlüssel in das Schloß und drehte ihn herum. Es quietschte schauerlich aber selbst das schien gewollt zu sein … wer hier stand und auf das öffnen der Tür wartete, dem sollte dieser Ton bereits das Herz zerschneiden.
    Die schwere Tür schwang auf. Wie eine Faust schlug der Fäulnisgestank Trottau entgegen. Er hielt den Atem an und griff unwillkürlich nach Blattjews Arm. Igor Igorowitsch nickte und zog Trottau mit sich.
    Sie kamen auf eine Art Galerie, eine Empore aus geschliffenen Steinplatten, die an der Unterseite von schweren Eisenstangen gehalten wurde, die in die dicke Wand eingelassen waren. Ein Geländer

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