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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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habe sie in ihr Zimmer geschickt. Sie ist ein folgsames Töchterchen. Wir haben etwas mit dir zu besprechen, Arzt.«
    »Laß mich Xenia sehen, Massja Fillipowna. Ich muß ihr etwas sagen … gerade jetzt muß ich es ihr sagen.«
    »Nein.«
    »Ich weiß, daß sie darauf wartet.«
    »Das weiß ich auch, Arzt. Wir sind keine Dummköpfe, auch wenn uns die Sonne nicht bescheint. Aber zuerst müssen wir miteinander reden.« Massja hob einen Vorhang hoch. Trottau trat an ihr vorbei in das Zimmer, in dem er Xenia zum erstenmal gesehen hatte. Auf dem groben Holztisch standen jetzt irdene Becher mit einem rötlichen Wein, daneben in einem geflochtenen Korb dunkles, in große Stücke gebrochenes Brot und eine flache Schüssel mit Salz.
    »Setz dich«, forderte Massja ihn auf. Trottau setzte sich auf das Strohlager. Blattjew und Massja blieben vor ihm stehen, der Tisch war zwischen ihnen. Noch bevor Massja weitersprach, wußte Trottau, daß nun die größte und alles verändernde Stunde seines Lebens gekommen war.
    »Ich liebe Xenia«, sagte er leise. »Massja Fillipowna – Igor Igorowitsch, es ist wahr. Bei der Seele meiner Mutter, bei allem, was auf dieser Welt heilig ist, ich liebe sie. Es hat mich überfallen wie ein Feuer, gegen das man sich nicht wehren kann.«
    »Wir wissen es, Andrej. Blattjew hat zwar keine Zunge mehr, aber seine Augen sind scharf wie die der Bären. Und sein Verstand ist wacher als der anderer Menschen, denn wer nicht sprechen kann, denkt um so mehr. Du liebst Xenia, und das kann das größte Glück und das größte Unglück sein. Du bist Arzt, Söhnchen, der Leibarzt der Zarin. Du bist aus einer Welt, in die wir nie zurückkehren dürfen. Auch Xenia nicht … sie ist eine Blattjew! Wie soll das alles werden? Weißt du es, Arzt?«
    »Ja. Ich werde Xenia von der Schwindsucht heilen und heiraten.«
    »Du Narr! Die Zarin wird dich zerreißen lassen!«
    »Die Zarin? Nie!«
    »Dann der Zar. Du hast die Bären gesehen, das allein bedeutet schon dein Todesurteil. Und Blattjew hat sie dir gezeigt, weil er sein Töchterchen liebt. Du bist dadurch ein Mitglied unserer Familie geworden … begreifst du das?«
    »Ja, Massja, und ich bin glücklich darüber.«
    »Du bist ein Ausgestoßener, der von jetzt an heimlich in der Sonne lebt.«
    »Ihr alle werdet bald aus diesem Grab herauskommen, das verspreche ich euch.«
    »Auch du kannst die Sonne nicht unter die Erde holen. Aber genug der Worte«, erwiderte Massja. »Wer die Bären gesehen hat, muß sterben. Du bist der erste, der danach noch lebt, weil du jetzt ein Blattjew bist. Nimm das Brot, streue Salz darüber und trinke unseren Wein. Aber ich warne dich Andrej … du kannst danach nie mehr zurück.«
    »Solange es Xenia gibt, besteht meine Welt nur aus noch aus ihr.« Trottau beugte sich vor, nahm eines der Brotstücke, tauchte es in das Salz, umfaßte mit der anderen Hand den irdenen Becher und blickte Massja und Blattjew an.
    »Ich liebe Xenia«, sagte er dann langsam. »Gott ist mein Zeuge.« Er biß in das Brot, hob den Becher an die Lippen und trank einen tiefen Schluck.
    »Ich segne dich, Söhnchen.« Massjas Stimme schwankte. »Du hast eine Entscheidung getroffen, die dich von den Menschen trennt. Laß dich umarmen … und dann geh zu Xenia.«
    Trottau sprang auf. »Ich werde um euch kämpfen!« rief er. »Ich habe Einfluß auf die Zarin …«
    »Die Zarin!« Massjas Stimme wurde dunkel vor Haß. »Diese tscherkessische Hure! Du hast nicht gesehen, wie Marja Temrjuka da drüben auf der Galerie gestanden und laut gelacht hat, wenn die Bären einen schreienden, um Gnade wimmernden, Gott um Hilfe anflehenden Menschen zerrissen.«
    »Das ist nicht wahr …«, stammelte Trottau. Marja hier unten im Gewölbe? Zuschauerin beim grausamsten Mord?
    Diese herrliche Frau, die nur aus Liebe bestand, konnte zusehen, wie Bären einen Menschen zerfleischten? Es war undenkbar!
    »Viermal war sie hier unten. Dreimal davon mit dem Zaren. Sie klatschte in die Hände, als der Bojar Tscherenjew vor den Bären flüchtete, immer an der Wand entlang. Und die Bären spielten mit ihm. Sie rannten hinter ihm her und ließen ihn laufen und laufen. Er schrie, hob die gefalteten Hände zum Zaren hinauf, weinte und beschwor das Bild seiner Frau und seiner vier kleinen Kinder. Und er lief so lange, bis er nur noch taumeln konnte und am Ende auf die Knie fiel und zu Gott betete.«
    »Und die Zarin?« fragte Trottau tonlos.
    »Sie feuerte die Bären an. ›Schneller‹, rief sie,

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