Der Leibarzt der Zarin
›schneller! Jagt ihm das Herz aus dem Leib!‹ Und als sie über Tscherenjew herfielen und ihn zerrissen, jauchzte sie und umarmte den Zaren. ›Welch ein Schauspiel!‹ schrie sie. ›Iwanuschka, ich liebe dich!‹ – So ist sie, die Zarin.«
Trottau senkte den Kopf. Es sind ihre Worte, dachte er. Genauso spricht sie im Liebestaumel. Es ist grauenhaft …
»Dreimal war sie hier?« fragte er, nur um etwas zu sagen.
»Viermal. Einmal kam sie allein. Sie ließ ihren Geliebten, Fürst Kataloi, hinrichten. Es war die beste, stillste Art ihn zu beseitigen. Fürst Kataloi verschwand einfach. Nicht einmal der Zar erfuhr es. Er ließ Kataloi hundert Tage lang suchen und setzte eine Belohnung von tausend Rubel aus. Blattjew bekam von der Zarin zweitausend Rubel …« Massja lachte bitter. »Ja, Arzt, wir sind eine reiche Familie, reicher als viele Tausende im Lande. Aber was nützen uns zweitausend Rubel im Grab?«
Trottau trank den Wein aus. Marja, dachte er, ist das auch mein Ende? Werde ich wie Fürst Kataloi im Bärenzwinger zerrissen werden, wenn ich ihr lästig geworden bin?
Er blickte zu Blattjew hinüber, der ebenfalls ein Stück Brot mit Salz aß und einen Schluck Wein trank. Wird er mich den Bären vorwerfen, dachte Trottau, wenn es die Zarin einmal befehlen sollte? Mich, den Mann seiner Tochter?
Massja schien seine Gedanken zu ahnen. Sie schenkte neuen Wein ein und sagte: »Wenn es sein muß, werden wir alle gemeinsam sterben. Eine andere Lösung gibt es nicht, wenn uns die Ungnade des Zaren trifft. Und jetzt geh zu Xenia, mein Söhnchen.«
Massja und Blattjew umarmten Trottau, küßten ihn und weinten vor Rührung. Dann ging Trottau in das andere Zimmer.
Xenia erwartete ihn schon sehnsüchtig. Sie breitete die Arme aus und flog ihm entgegen. Ihr Haar wehte wie eine goldene Fahne.
Trottau zog sie an sich und küßte sie. Und mit diesem Kuß hatte sich sein Schicksal für alle Zeiten entschieden.
9
Es war Mitternacht, als Zar Iwan mit seinem Gefolge die ersten Häuser von Moskau erreichte.
Ein Reitertrupp war vorausgeritten und hatte alles, was sich auf den Straßen befand, in die Häuser zurückgejagt.
So war Moskau wie ausgestorben, als Iwan mit dem kleinen Kreis seiner ausgewählten Bojaren zum Kreml ritt, im voraus seine Rache genießend und in Gedanken in Grausamkeit schwelgend.
Aber der Zar hatte Marja unterschätzt. Heimlich hatte sie ihren eigenen Nachrichtendienst, der ihr alles meldete, was sich in Moskau und in Iwans nächster Nähe zutrug.
In dieser Nacht, drei Minuten nach Mitternacht, brachte ihr ein Bote bereits die Nachricht, daß der Zar heimlich in Moskau sei. Er war gerade durch die Falltür aus dem unterirdischen Gang gestiegen.
»Iwan hat Schemski doch geglaubt!« sagte die Zarin, als der Bote gnädig entlassen worden war. »Er will mich überraschen.« Sie strich Trottau über das bleiche Gesicht. »Er soll überrascht werden – aber anders, als er denkt. Wir werden uns jetzt nur noch wenig sehen, mein Liebster. Aber Iwan wird nicht lange Zeit haben, mich zu bewachen. Die Schweden rücken vor, die Polen sind aufsässig, die Litauer rebellieren. Er hat Arbeit genug, sich um sein Reich zu kümmern. Umarme mich, mein großer, blonder Bär. Es wird mir eine Zeitlang genügen müssen, dich jetzt nur noch zu sehen …«
Das Wort Bär aus dem Munde der Zarin jagte einen Schauer über Trottaus Rücken. Er sah den runden, tiefen Zwinger vor sich – und Marja, wie sie mit ungerührter Miene hinunterblickte auf ihren Geliebten, Fürst Kataloi, während ihn die Bären zerfleischten.
»Geh, mein Liebling«, sagte Marja zärtlich. Sie hielt Trottaus Starre für Angst vor dem Zaren. »Iwan wird allen Verdacht begraben, sobald er den Kreml betritt. Vertraue auf mich!« Sie lachte, küßte ihn wieder und schob ihn zur Falltreppe.
Afanasi Likanowitsch Sabotkin, sein Diener, war noch wach, als Trottau in seine Wohnung kam. Stumm brachte er seinem Herrn eine große Schale mit dampfendem, herrlich duftendem Tee.
»Geh«, befahl Trottau hart. »Setz dich vor die Tür. Die Strelitzen des Zaren werden bald kommen und mich holen.«
Im Gesicht des Riesen Sabotkin zeigte sich keine Regung. »Trink, Herr«, sagte er. »Es ist Tee mit Honig. Bei uns daheim nannte man es den Trank der Götter. Er schenkt eine neue Seele.«
»Genau das ist es, was ich brauche! Eine neue Seele!« Trottau richtete sich auf. »Meine alte Seele ist heute vernichtet worden.«
»Dann trink.« Sabotkin hielt ihm die
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