Der Leibarzt der Zarin
schob Iwans Kopf aus ihrem Schoß und kam nackt, mit wiegenden Hüften, auf Trottau zu.
»Er hat mich vor deinen Augen geliebt«, sagte sie. »Er hat dich damit zum zweiten Zaren gemacht.«
»Zu einem Nichts bin ich geworden! Ich habe heute nacht meine Persönlichkeit verloren.«
»Aber du hast mich für immer gewonnen. Ist das kein guter Tausch?« Sie umarmte und küßte ihn, und er ließ es über sich ergehen. Er schloß die Augen, dachte an Xenias himmlische Reinheit und war wie erlöst, als Marja ihn losließ und sich wieder aufs Bett setzte.
In der Morgendämmerung – ein heißer Tag zog über Moskau herauf – streifte Marja ein schleierähnliches Gewand über und ging hinaus. Trottau saß in dem goldenen Sessel und schlief. Er schrak auf, als ihn ein Fußtritt traf.
Iwan stand vor ihm, bleich, mit tiefen Schatten unter den Augen, schwankend vor Entkräftung.
Trottau sprang auf und verneigte sich. »Hat der Zar einen Wunsch?« fragte er.
»Du sollst nicht schlafen, du Schuft!« Iwan bückte sich ächzend, hob seinen tatarischen Mantel auf, legte ihn lose um die Schultern und ergriff seinen Possoch, den er an die Wand gelehnt hatte. Mit einem kräftigen Stoß hieb Iwan ihn in den dicken Bohlenboden, trat dann zurück und lächelte böse. Der lange, zu einer tödlichen Waffe gewordene Hirtenstab zitterte zwischen ihm und Trottau.
»Sieh ihn dir an«, befahl der Zar. »Er ist dein Schicksal.«
»Ich weiß es, Herr.« Trottau ergriff den Possoch, zog ihn aus den Dielen. Sein Arm zuckte hoch und stieß die stählerne, lange Spitze so tief in den Boden, daß der Stab nicht einmal mehr zittern konnte.
Mit kleinen, zusammengekniffenen Augen hatte Iwan zugesehen. »Stärke ist nichts«, sagte er. »Macht ist alles!«
Die Zarin kam zurück. Sie war allein und hielt in den Händen ein chinesisches Tablett mit einer großen Tasse köstlich duftenden Tees. Sie stellte das Tablett auf das Bett, ging zu den Fenstern, riß die Vorhänge zur Seite und ließ die noch bleiche Morgensonne ins Zimmer fallen. Dann kam sie zurück, streifte das Gewand von ihren Schultern und kredenzte nackt dem Zaren den Tee.
Iwan ballte die Fäuste. Mit einem Hieb schlug er Marja das Tablett aus den Händen, griff in ihr aufgelöstes, langes, schwarzes Haar und zog sie mit einem Ruck an sich.
»Willst du mich töten, du Teufelin?« schrie er. »Was machst du aus mir? Deine Schönheit bringt mich noch um!«
Er reckte sich auf. Man sah, wie er die Muskeln spannte – und dann traf ein schrecklicher Faustschlag Marja mitten auf den Kopf.
Sie taumelte, griff haltsuchend um sich, ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, die Lippen formten Worte. Trottau verstand, was sie sagte: »Du bist der Herr. Schlag zu, schlag weiter, Iwanuschka! Ich bin glücklich, du Herr aller Herren!« Dann fiel sie in sich zusammen.
Iwan drehte sich zu Trottau um. »So heilt ein Zar die Weiberkrankheiten«, meinte er zufrieden. »Jetzt bist du an der Reihe, Deutscher. Weck sie auf … Wir wollen in fröhlicher Runde unseren Morgentee trinken.«
Erst am späten Vormittag durfte Trottau in seine Wohnung im Kremlpalast zurückkehren. Sein Diener Afanasi Likanowitsch Sabotkin erwartete ihn. Er hatte in einem großen Holzzuber ein heißes Bad gerichtet und stand daneben, Tücher und zwei Holzeimer mit kaltem Wasser bereithaltend.
»Das wird dir guttun, Herrchen«, meinte er. »In meiner Heimat verjagt man die Schwere der Nacht mit heißem und kaltem Wasser, immer abwechselnd. Das treibt jeden bösen Geist aus dem Körper.«
»Ihr scheint kluge Menschen zu sein, Afanasi.« Trottau zog sich aus und setzte sich in das heiße Wasser. Es traf ihn wie ein Schock; sein Blut geriet in Wallung. Dann fuhr er wie von der Tarantel gestochen hoch, als Afanasi mit Schwung einen Eimer eiskaltes Wasser über ihn ausschüttete. »Bist du verrückt?« schrie Trottau.
»Der Teufel ist weg, Herrchen!« Sabotkin grinste breit. »Noch einmal heiß und einmal kalt, dann fühlst du dich so, daß du glaubst, einen Hengst einreiten zu können.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte er Trottau zurück in die große Holzwanne. Und da Sabotkin ein Riese war, gab es für Trottau keine Gegenwehr. Er tauchte in das heiße Wasser, fuhr wieder hoch. Der zweite kalte Guß kam wie eine stählerne Faust.
»Das muß man sich merken, Afanasi, du schielender Teufel«, sagte Trottau und wickelte sich in ein neues angewärmtes Tuch. »In der Erfahrung der Jahrhunderte liegt der Schlüssel vieler
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