Der Leibarzt der Zarin
diesen Mann, wer auch immer es war, zu vernichten.
An diesem Morgen hatte Pritschew Glück. Das Mädchen war allein. Es lag wie immer nackt im Gras und badete im goldenen Sonnenlicht. Semjon Iwanowitsch Pritschew hatte es geschafft, lautlos bis hinter den Baum zu kommen. Nur zwei Meter trennten ihn von Xenia, und das Blut begann in seinen Schläfen zu rauschen.
Wie ein Raubtier, mit einem Satz, sprang er Xenia an, stürzte sich auf sie, drückte beide Hände auf ihren Mund und erstickte so ihren Aufschrei.
Es war der Augenblick, in dem Trottau hinter dem Busch die Falltür aufstieß und aus der Unterwelt der geheimen Gänge auftauchte. Gleichzeitig sprang Sabotkin, knurrend wie ein Wolf, aus dem Fenster des Zarewitsch, hinter dem er Wache gehalten hatte.
Verzweifelt kämpfte Xenia gegen den Körper über sich. Sie trat um sich und biß in die Hand, die ihren Mund zupreßte, und es gelang ihr, sich auf den Bauch zu wälzen und zu schreien. Ein schwacher, sofort erstickter Schrei war es, denn Pritschew drückte ihr Gesicht in das hohe Gras und begann, sie mit beiden Händen zu würgen.
»Mein blondes Schwänchen«, keuchte er. »Du willst einem Pritschew widerstehen? Kein Mädchen in Rußland, das mir gefiel, hat das gewagt! Gib es auf, oder ich drücke dir die Kehle zu, bis du um Gnade winselst. Wer so schön ist wie du, gehört auf jeden Fall einem Pritschew!«
Sein wildes Keuchen und die unterdrückten Schreie Xenias übertönten das Geräusch, mit dem Trottau durch das Gebüsch brach. Er schnellte sich ab, die Arme vorgestreckt, und prallte mit voller Wucht gegen Pritschew, der sofort Xenia losließ und sich herumwarf. Gelenkig wie eine Katze rollte sich Pritschew zur Seite, sprang auf und stand schon auf den Beinen, als Trottau sich gerade auf den Knien aufrichtete. Breitbeinig, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, starrte der Bojar seinen Gegner an. Er riß den kurzen, etwas gebogenen, mit einem goldenen Griff und Diamanten verzierten Dolch aus dem Gürtel und verzog den Mund zu einem bösen Lächeln.
»Der Liebhaber«, sagte er hastig atmend. »Auch wenn du angezogen bist, erkenne ich dich wieder. Sieh an, sieh an, er trägt einen schwarzen Rock wie ein Scholar. Bist wohl ein Gelehrter, was? Ein Schreiberling vielleicht? Ein Staubfresser? Darf die Schuhspitzen des erhabenen Zaren lecken und ernährt sich von Wanzen! Aus dem Weg, Kulake!«
Trottau erhob sich. Hinter ihm blieb Xenia liegen, halb ohnmächtig, mit dicken, roten Würgemalen am Hals. Sie weinte in das Gras hinein, preßte die Hände gegen die Ohren und zitterte vor Angst.
»Weißt du nicht, wer ich bin?« schrie Fürst Pritschew.
»Das interessiert mich nicht! Du wolltest Xenia etwas antun … Das ist genug, um vernichtet zu werden.«
»Hör sich einer dieses Großmaul an!« Pritschew umklammerte den Dolch fester. »Es gibt in Moskau drei Freunde des Zaren – der erste bin ich!« Und damit sprang er mit einem Satz auf Trottau zu, aber dieser ließ sich nicht überraschen. Er wich aus, und so ging der tödliche Stoß ins Leere.
Der Bojar wirbelte herum, seine Augen glühten vor Wut und Haß. Trottau war unbewaffnet. Wenn er zu Xenia in den Garten ging, nahm er nie seinen Degen mit. Wozu auch? In der Stunde der Liebe braucht man ein Herz, kein Schwert. Der Garten stand überdies unter dem Schutz des Zarewitsch. Niemand hatte einen Schlüssel zu dem kleinen Tor in der Mauer, und es schien, als ob das verrostete Schloß seit Jahrzehnten nicht benutzt worden war. Wie dieser Bojar in den Garten gekommen war, konnte sich Trottau nicht erklären. Aber er war da, und das genügte. Trottau wußte, daß nur einer von ihnen den Garten lebend verlassen konnte. Es gab keinen anderen Ausweg. Xenias Leben und das der ganzen Familie Blattjew wurde durch den Ausgang dieses Kampfes entschieden.
Pritschew duckte sich wieder. Der Zarewitsch war auf der Jagd, zusammen mit dem Zaren und der Zarin. Fast alle Bojaren hatten sich angeschlossen. Ein großes Gefolge ritt jetzt durch die Wälder und suchte Bären, Luchse und Biber. Fünfzig Treiber rannten voraus, mit Holztrommeln, Trompeten und Glocken und scheuchten das Wild dem Zaren entgegen.
Das alles wußte Pritschew, und er war sich seines Sieges sicher. »Schreiberlein, bete!« rief er. »Es ist zu Ende mit dir.«
Er schnellte wieder vor, und noch einmal gelang es Trottau, im letzten Augenblick auszuweichen und dem Dolchstoß zu entgehen. Der Bojar knirschte vor Wut mit den Zähnen, aber als er mit
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