Der Leibarzt der Zarin
Geheimnisse. Ich fühle mich frisch wie nie! Wo ist der versprochene Hengst, du bärtiger Lump?«
Sabotkin lachte glücklich. Er ist ein guter Herr, dachte er mit einer fast väterlichen Zärtlichkeit. Der erste, der seinen Leibeigenen nicht prügelt, anspuckt, in den Bauch tritt und Knüppel auf ihm zerschlägt. Wie einen Mensch behandelt er mich … Brüder, ist das ein Gefühl!
Er fiel auf die Knie, ergriff Trottaus rechte Hand und küßte sie inbrünstig. »Herr, ich bin nur ein armseliger, dummer Pferdehirt, aber ich lasse mir für dich den Kopf abschlagen.«
»Warum, Afanasi? Ich brauche deinen Kopf noch. Hol etwas zu essen, bring heißen Tee, und dann sage allen, die mich sprechen wollen, ich sei in die Stadt geritten.«
Sabotkin verneigte sich tief. »Sie liegt schon in der Sonne«, sagte er.
Trottau durchfuhr es wie ein Schlag. Er schnellte vor und riß Sabotkins Kopf am Bart hoch. »Wer?«
»Xenia Igorowna.«
»Was weißt du von Xenia, du Satan?«
»Wenn der Herr unvorsichtig ist, muß sein Schatten ihn zudecken. Ich habe Wache gehalten, wenn der Herr im Garten war.«
»Und woher kennst du ihren Namen?«
»Der Schatten ist ein Kind der Sonne. Welches Kind kennt nicht seine Mutter?«
Trottau ließ Sabotkin los. Fragen nützten nichts mehr. Es war auch gleichgültig, woher Afanasi sein Wissen hatte. Wichtig war nur, daß Sabotkin immer in der Nähe war. Trottau wußte, daß er nirgendwo sicherer war als unter diesem Schutz.
»Ich gehe sofort zu ihr«, sagte er. »Hol schnell den Tee und saubere Kleider.«
»Laß dir Zeit, Herr.« Sabotkin schob die große hölzerne Wanne zum Fenster, stemmte sie mit seinen gewaltigen Armen hoch und schüttete das Wasser einfach hinaus ins Freie.
»Der Leibgardist des Zarewitsch ist mein Freund geworden«, antwortete Sabotkin. »Die erste Kammerfrau der Zarin werde ich zu meiner Geliebten machen. Der zweite Türsteher des Zaren stammt aus meiner Heimat. Herrchen, wir werden alles wissen, was im Kreml geschieht. Auch die dicksten Mauern werden Löcher für uns haben …«
11
Sabotkin war ein guter, wachsamer Mann. Und doch gab es jemanden, den auch Sabotkin nicht gesehen hatte und der gerade jetzt durch den abgeteilten Garten des Zarewitsch schlich, von Busch zu Busch, von Baum zu Baum und sich Xenia näherte, die ahnungslos im Gras lag und ihren zarten, nackten Leib der Sonne schenkte.
Jeder in Moskau kannte den Fürsten Semjon Iwanowitsch Pritschew. Bei dem Zaren stand er in hoher Gunst, jagte mit ihm in den Wäldern und hatte ihm damals – nach dem Tode der ersten Zarin Anastasia – die schönsten Mädchen aus Moskau und Weißrußland beschafft, bis Iwan seiner großen Liebe und seinem größten Unglück, Marja Temrjuka, begegnete.
Danach hatte Iwan seinen Freund aus seiner Nähe verbannt, weil Marja es wollte, aber er hatte ihn nicht vergessen. Er hatte Pritschew ein großes, reiches Gut mit zweitausend Leibeigenen geschenkt und ihn zum Ritter der Heiligen Jungfrau ernannt. Bei Staatsempfängen durfte Pritschew hinter Iwans Thron stehen und eine Lanze tragen. Und bei öffentlichen Hinrichtungen von Verrätern hatte der Fürst die Ehre, den ersten Kopf abzuschlagen oder einen Leib zu durchbohren.
Es war vor zwei Tagen gewesen, als Semjon Iwanowitsch Pritschew zufällig bei einem Besuch in den Räumen des Zarewitsch aus dem Fenster geblickt und die nackte Xenia in der Sonne liegen gesehen hatte. Der Mann neben ihr interessierte Pritschew nicht. Ihn hatten noch nie Männer gekümmert, die zu schönen Frauen gehörten. Entweder sie machten die Augen zu, oder sie wurden ihnen für immer geschlossen. Es war ein einfaches Verfahren, in das Pritschew niemand hineinredete. Ein Freund des Zaren … das war, als sitze man in den Falten von Gottes Mantel.
Der Zarewitsch war nicht im Zimmer gewesen, als Pritschew das herrliche Mädchen in der Sonne bemerkt hatte. Er hatte auch nichts gesagt, als Iwan, der Thronfolger, erschienen war. Aber am nächsten Tag hatte Pritschew das heimliche Sonnenbad hinter einem Busch beobachtet. Und hier hatte ihn der wachsame Sabotkin nicht sehen können, als er am Fenster des kronprinzlichen Schreibzimmers stand, in das ihn sein neuer Freund, der Leibgardist, hineingelassen hatte.
Fürst Pritschew hatte mit den Zähnen geknirscht, als er Trottau und Xenia in zärtlicher Umarmung beobachtet hatte. Der Drang, diesen schönsten Leib, den er je gesehen hatte, zu besitzen, war so mächtig in Pritschew geworden, daß er beschlossen hatte,
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