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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der erlegten Wölfe.
    Trottau stand am Fenster und sah Iwan zu, wie er vom Pferd sprang und eines der größten blutigen Felle vom Schlitten riß, um es Marja zu zeigen.
    Er kann nicht anders, dachte Trottau. Er muß Blut um sich haben. Nur wenn er Blut sieht, wird er fröhlich. Rußland, was wird aus dir …
    Beim Abendessen sagte Iwan zwischen einem Bissen Brot und einem Schluck Wein: »Trottau – ich werde Rußland vollkommen verändern. Es soll einen neuen Geist bekommen. Die Bojarenköpfe werden rollen wie die Kieselsteine am Ufer der Moskwa.«
    Er hielt Trottau seinen goldenen Becher hin und nickte ihm zu. »Trink, Freundchen, trink aus dem Becher des Zaren! Das hat noch niemand gedurft, nicht einmal Marja … Wie alt bist du?«
    »Genauso alt wie Ihr, erhabener Zar.« Trottau trank einen Schluck und gab den Becher an Iwan zurück.
    »Genauso alt wie ich!« Der Zar lachte. »Ich glaube nicht, daß wir zusammen sterben, Trottau! Ich will der letzte sein, der aus diesem Becher trinkt. Ich – nicht du!«
    Wie sagen die alten Russen, die sich verkriechen, wenn der Zar durch die Straßen reitet? – ›Wen das Auge des Zaren trifft, der zerfällt zu Asche.‹
    Ich werde fliehen, dachte Trottau. Ich muß es versuchen. Ich muß zurück nach Moskau, Xenia holen und versuchen, die polnische Grenze zu erreichen. Ich habe kein Verlangen danach, vor Iwan zu Asche zu werden.

16
    Der Zarewitsch wollte nach Moskau zurück.
    Er vertrüge das ewige Schneetreiben und den Frost nicht, erklärte er seinem Vater. Er friere bis auf die Knochen, selbst nachts im Schlaf, und wache auf wie eine Eissäule.
    Iwan ließ die Diener, die für die Beheizung der kronprinzlichen Räume verantwortlich waren, durchprügeln. Man stellte überall Becken mit glühenden Kohlen auf und fahrbare Kamine aus Kupfer. Es verschlug einem den Atem, wenn man nun den Zarewitsch besuchte; der Schweiß brach einem aus allen Poren. Aber der Zarewitsch saß herum, bleich, mit umflorten Augen, und wenn man ihn fragte, sagte er kurz: »Ich friere.«
    »Er ist ein Idiot, mein Sohn!« schrie Iwan. »So etwas soll einmal mein großes Reich erben! Trottau, geh hin und untersuche ihn. Und sage ihm: Es gibt ein gutes Mittel, den Frost zu besiegen. Man muß sich gegen ihn stemmen. Wenn er weiterfriert, wird der Zarewitsch in einem Sommerzelt auf freiem Feld schlafen. Man besiegt eine Sache nur, wenn man sie bekämpft!«
    Der Zarewitsch empfing Trottau wie einen guten Freund. Vor ihm verbarg er nicht die wahren Gründe seiner Krankheit.
    »Ich zerfließe vor Hitze«, stöhnte er. »Mein Zimmer ist zu einem Backofen geworden. Aber ich halte durch, Trottau. Ich lasse mich braten, weil ich zurück nach Moskau will.«
    Trottau lächelte verständnisvoll. Auch ich möchte zu Xenia, dachte er. Aber der Zar wird Alexandrowskaja sloboda nicht so schnell wieder verlassen, nicht vor dem Frühling …
    »Moskau ist leer«, sagte Trottau. »Der Kreml ist eine eisige Höhle geworden. Was wollt Ihr dort, Herr?«
    Der Zarewitsch ging ans Fenster und starrte hinaus. Es schneite schon wieder. Das Land ertrank im Schnee, das Leben erstickte unter den weißen Massen.
    »Ich habe Sehnsucht nach Irina«, antwortete er leise.
    Trottau erinnerte sich. Irina war das dralle, kecke Mädchen, das auf dem Bett des Zarewitsch gelegen hatte, die Gerberstochter von der Moskwa, die der Kanzler Iwan Wiskowaty dem Kronprinzen zugeführt hatte, um aus dem Träumer einen Mann zu machen.
    »Sie war ein Spielzeug, Herr«, erwiderte Trottau. »Spielzeuge haben es an sich, daß sie einmal zerbrechen.«
    »Ich will sie wiederhaben«, beharrte der Zarewitsch eigensinnig. »Mir fehlt ihre Liebe!«
    »Wir werden ein anderes Mädchen für Euch aussuchen, hier in Alexandrowskaja sloboda …«
    »Ich will Irina!« schrie der Zarewitsch. »Trottau, wozu bist du Arzt? Behandelst du nur Wunden und Brüche oder die eingebildeten Krankheiten der Zarin? Ist ein Arzt nicht auch dazu da, sich um die Seele zu kümmern? Meine Seele ist krank, Trottau, und es gibt nur eine Medizin für sie: Irina! Verschreibe sie mir!«
    Trottau sah auf den dick mit Teppichen ausgelegten Boden. Er schwitzte fürchterlich. Die Hitze, die aus den Kaminen und glühenden Kohlebecken strahlte, war unerträglich. Wenn der Zarewitsch das schon tagelang aushielt, war seine Sehnsucht nach der kleinen blonden Moskauer Gerberstochter mit keinem anderen Mittel als ihr selbst zu stillen. Auch nicht mit Iwans Drohung, seinen Sohn in einem Sommerzelt mitten

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