Der Leichenkeller
weil ich herausfinden wollte, wo sie – und ihr Skipper – gestern Abend gewesen waren. »Was für ein Prachtstück! Ich hoffe, Sie hatten gestern Nacht während des Sturms niemanden an Bord.«
»Sie lag sicher an einer windgeschützten Stelle. Ihr ist nichts passiert.«
»Sie passt ja kaum hier rein«, sagte ich. Ich wusste aber, dass die Marinas in Edgartown und Vineyard Haven ein Boot dieser Größe aufnehmen konnten.
»Nein, nein. Ihr Heimathafen ist drüben in Nantucket«, gab der Maat zurück.
»Wart ihr Jungs bei dem Sturm tatsächlich auf dem Wasser?«
»Anordnung des Captains.« Er sah zum Steward hinüber und lachte.
»Muss ziemlich stürmisch gewesen sein.«
»Da halfen alle Seetabletten der Welt nichts. Und das, obwohl wir ziemlich gut geschützt waren.«
Cassie füllte die Tanks und bestaunte die Länge der Yacht.
Ich lachte auch. »Ich wette, der Besitzer treibt sich bei so einem Sturm nicht mit euch herum.«
»Machen Sie Witze! Er würde sein Baby nicht eine Minute allein lassen. Hat die ganze Sache mit uns durchgestanden. Nur seine Frau durfte an Land bleiben.«
»Sind Sie das, Alexandra? Ich hätte Sie nie und nimmer erkannt.«
Ich erschrak, als ich Hoyts Stimme hörte. Die Hand über den Augen, hob ich blinzelnd den Kopf und sah ihn auf der Flybridge stehen.
»Ich habe gerade versucht, Sie anzurufen«, sagte er und schwenkte sein Handy. »Ich dachte, sieben Uhr wäre eine anständige Zeit, um Sie zu wecken. Wir sind auf dem Weg nach New York. Ich habe keine Ahnung, wann der Flughafen den Betrieb wieder aufnimmt, aber ich dachte, Sie würden vielleicht mitfahren wollen.«
»Der Wahnsinn, Alex«, sagte Cassie. »Voll cool.«
»Handys funktionieren in Menemsha nicht.« Das verschlafene kleine Dorf war ein schwarzes Loch in der Welt der Handykommunikation. »Hier gibt’s keine Handymasten.«
»Da kann man nichts machen«, sagte er achselzuckend. »Wie sieht’s aus mit der Heimfahrt?«
»Danke. Ich bleibe vielleicht noch eine Weile hier«, log ich. Ich würde keine einzige Nacht in dem Haus verbringen, solange nicht die kaputten Fensterscheiben ersetzt und die Schlösser und Alarmanlage ausgewechselt worden waren. Aber das hieß nicht, dass ich bereit war, mich mit Graham Hoyt auf hohe See zu begeben.
»Aber zu einem warmen Frühstück werden Sie doch sicher nicht Nein sagen. Wie steht’s mit Ihnen, junges Fräulein? Möchten Sie eine Tour?«
Cassie hatte ihre Stiefel ausgezogen und war ohne zu zögern an Bord geklettert. Hinter mir hörte ich, wie einer der Kerle auf der Bank mir zurief: »Worauf warten Sie, Schätzchen? So ein großes Ding kommt nicht jeden Tag hier rein. Haben Sie Angst, dass sich Blaubart unterm Deck versteckt oder was?«
Ich zwang mich zu einem Lächeln, zog meine Stiefel aus und zwinkerte den grauhaarigen Oldtimern zu. »Falls Sie mit Cassie und mir in See stechen, soll uns Chip die Marine hinter herschicken, okay?«
Die Männer lachten, obwohl ich es nur halb zum Spaß gemeint hatte.
Hoyt half mir von der Leiter und wandte sich dann an den Steward: »Sagen Sie doch bitte dem Koch, er soll den Tisch auf dem Achterdeck für drei Personen decken. Rührei und Schinken, Kaffee und Saft.«
Mein Magen schlug Purzelbäume. Vielleicht, weil ich gestern praktisch nichts gegessen hatte, aber ich machte mir gleichzeitig Gedanken, wo Graham Hoyt während des Unwetters gesteckt hatte. Was, falls ihn seine Mannschaft deckte? Andererseits: Sie hatten keinen Grund, ein falsches Alibi anzugeben. Sie konnten unmöglich davon ausgehen, dass die abgerissene Frau in dem übergroßen Flanellhemd und der Caprihose sie ins Kreuzverhör nehmen wollte.
»Das ist also meine kleine Narretei, Alex. Ich zeige sie Ihnen.«
Ich folgte Hoyt und Cassie in den Hauptsalon der Yacht. Der mit Teakholz ausgekleidete Raum hatte dicke grüne Ledersofas und war mit einem Wollsisalteppich ausgelegt. Kristallene Weingläser hingen kopfüber in speziellen sturmsicheren Halterungen über der breiten Bar.
»Kommen Sie! Ich zeige Ihnen die Kabinen«, sagte er und führte uns die Achtertreppe hinunter. Die größere verfügte über ein Doppelbett und ein komplettes Badezimmer, die beiden kleineren Kabinen, in zarten Meerschaumtönen gehalten, waren ebenso luxuriös ausgestattet.
»Wie lang ist sie?«, fragte Cassie.
»Dreißig Meter. Eine Palmer Johnson. Die Reisegeschwindigkeit beträgt zwölfeinhalb Knoten, und sie fasst neunzehntausend Liter Benzin.«
Cassie interessierte sich mehr für die
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