Der Leichenkeller
dringend einen Auffrischungskurs in Sachen anwaltlicher Prozess- und Verhandlungsführung.«
»Euer Ehren«, fuhr sie fort, »Dulles Tripping hat ein sehr hohes Risiko, selbst eine psychische Störung zu entwickeln –«
»Das ich auf keinen Fall erhöhen will«, warf ich ein.
»Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass Sie sich setzen sollen, Ms. Cooper? Warum das denn, Ms. Taggart?«
»Als Risikofaktoren sind da schon mal die multiplen Verluste von Bezugspersonen in jungen Jahren – Mutter, Großmutter und jetzt der Vater. Auch eine Stiefmutter. Sie wissen vielleicht nicht, Euer Ehren, dass Mr. Tripping vor ein paar Jahren für kurze Zeit wieder verheiratet war. Zweitens erhöht der Selbstmord eines Elternteils das Risiko seiner eigenen suizidalen Vorlast. Drittens, von seinem eigenen Vater misshandelt zu werden – oder Zeuge eines Missbrauchs durch seinen Vater zu sein – erhöht Dulles’ Risiko, selbst auffälliges Verhalten an den Tag zu legen. Und –« Taggart sprach so leise, dass sie nicht mehr zu verstehen war.
»Was?«, fragte Moffett und legte eine Hand hinters Ohr.
»Ich sprach von der Psychose, die man bei seinem Vater diagnostiziert hat. Mr. Tripping ist schizophren. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Dulles diese Störung geerbt hat, um etwa das Zehnfache.«
Wieder knarrten die Schwingtüren hinter mir. Moffett hatte sich zur Wand gedreht und versuchte, die Fingerspitzen aneinander gelegt, eine salomonische Lösung zu finden.
Ich schaute rückwärts, um festzustellen, wer dieses Mal den Raum betreten hatte. Der elegant gekleidete Mann, der sich bewegungslos umsah, wirkte in dem trostlosen Gerichtsgebäude fehl am Platz. Er trug einen kohlegrauen maßgeschneiderten Anzug, eine Nickelbrille, ein Hemd mit Manschettenknöpfen und Collegeslipper. Ich schätzte ihn auf Anfang vierzig und auf circa ein Meter fünfundsiebzig, etwas kleiner als mich.
Ich beobachtete ihn, als er den Mittelgang hinunterkam; Robelon und Tripping steckten eifrig die Köpfe zusammen, als sie ihn erspähten. Er hatte nichts von der Hektik an sich, die so vielen der ernsten jungen Verteidiger zu eigen war, die täglich durch diese Gänge eilten.
Der Richter drehte sich wieder zu uns. »Diese Schizophreniediagnose von Seiten der Ärzte – Mr. Robelon, Sie werden nicht mitten im Prozess versuchen, auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren, oder?«
»Nein, Sir.«
Tripping blickte über seine Schulter zu dem Mann in dem grauen Anzug, der jetzt drei Reihen hinter ihm saß und dem Angeklagten mit Lippenbewegungen etwas lautlos zuflüsterte. Ich konnte nicht erkennen, was es war.
»Augenblick mal!«, sagte Moffett und knallte mit seinem Hammer auf den Tisch. »Mr. Tripping, würden Sie bitte der Verhandlung Ihre Aufmerksamkeit zuwenden, oder wollen Sie lieber mit den Leuten auf den billigen Plätzen Scharade spielen? Sie da, haben Sie hier überhaupt etwas zu suchen?«
»Ja, Sir«, antwortete der Mann. In Moffetts Gerichtssaal ging es legerer zu als in den meisten anderen. Die Tatsache, dass der Mann nicht aufstand, um dem Richter zu antworten, wurde vom Gericht nicht als Zeichen von Respektlosigkeit aufgefasst, aber auf mich machte es einen leicht arroganten Eindruck.
»Sind Sie auch Anwalt?«
»Ja, Sir.«
»Herrgott noch mal! Ich ersticke hier vor lauter Anwälten. Studiert denn heutzutage niemand mehr Medizin? Wer sind Sie?«
»Graham Hoyt.« Er holte ein kleines schwarzes Krokodillederetui aus seiner Tasche, entnahm ihm eine Visitenkarte und stand auf, um sie dem Assistenten des Richters zu geben, der sie wiederum dem Richter reichte. Dann sah er mich an und gab mir mit einem Kopfnicken ebenfalls eine Karte.
»Ich bin der Verfahrenspfleger von Dulles Tripping. Das Familiengericht hat mich ernannt, seine Interessen zu vertreten, während dieser Fall anhängig ist.«
»Sie sind spät dran, Herr Verfahrenspfleger. Haben Sie sich verfahren?« Moffett gluckste in sich hinein.
»Niemand hat mich über diesen Termin informiert. Ich habe heute Vormittag zufällig in Mr. Robelons Büro angerufen und erst durch seine Anwaltsgehilfin von dieser Anhörung erfahren.«
Großartig. Er war offenbar mit dem Angeklagten eng befreundet. Für jeden Schritt, den ich nach vorne machte, wurde ich zwei oder drei zurückgeworfen.
»Sind Sie hier, um gegen den Antrag der Anklage, Dulles zu vernehmen, Einspruch zu erheben?«
»Nein, Euer Ehren. Vielleicht kann ich etwas arrangieren, das jeden zufrieden stellen würde.«
Ich wandte mich
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