Der Leichenkeller
alles in Ordnung sei. Aber er wich zurück und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Ich stand auf, um mir sein Auge genauer anzusehen. ›Was ist passiert?‹, fragte ich ihn.«
Dulles, so erzählte Paige Vallis, setzte sich wieder, während sein Vater die Frage beantwortete. »›Er hat Fehler gemacht.‹ Das waren Andrews Worte. ›Dieses Mal wird er alles richtig machen. Nicht wahr, Dulles?‹«
Dann beschrieb sie, wie Andrew zwei Stühle heranzog, sie gegenüber von dem Jungen aufstellte und Paige befahl, sich zu setzen.
»Haben Sie das getan?«
»Ja.«
»Haben Sie nicht versucht zu gehen?«
»Nein. Nicht zu dem Zeitpunkt. Ich habe nicht gedacht, dass –«
»Einspruch.«
»Stattgegeben. Sagen Sie uns nicht, was Sie gedacht, sondern was sie getan haben«, ermahnte Moffett die Zeugin.
»Ja, Euer Ehren.« Sie wandte sich wieder an die Geschworenen. »Andrew fing an, den Jungen wie einen Soldaten zu drillen. Er ließ ihn stramm stehen und bombardierte ihn mit einer Reihe von Fragen.«
»Erinnern Sie sich an diese Fragen?«
»Ich erinnere mich an die erste Frage, die Andrew stellte. ›Die Brut des Löwen‹, sagte er. ›Nenn uns ihre Namen.‹ Dulles antwortete ihm. Er nannte Hannibal und seine drei Brüder – seltsame Namen wie Hasdrubal und Mago –, die anderen fallen mir nicht ein. Anscheinend war es die richtige Antwort. Dann befahl ihm Andrew, die siegreichen Schlachten von Aetius, irgendeinem römischen Feldherrn, aufzuzählen. Dulles beantwortete auch das richtig. Er wusste alle Orte und Daten.«
Paige zählte noch ein paar Fragen auf, alle über Kriegshelden. Mike Chapman hätte sie wie aus der Pistole geschossen beantworten können; dem zehnjährigen Kind waren die Antworten in den wenigen Monaten, die er bei seinem schizophrenen Vater wohnte, eingedrillt worden.
Sie konnte sich an insgesamt fünf Fragen erinnern und schätzte, dass es noch eine Hand voll mehr gewesen waren. Dann verkrampfte sie sich sichtlich, als sie die nächste Szene schilderte.
»Dann fing Andrew an, den Jungen mit Fragen über Benedict Arnold zu bombardieren. ›Tod den Verrätern‹, sagte er immer und immer wieder. ›Du weißt, was mit Verrätern passiert, nicht wahr, mein Junge?‹ Dulles wusste von dem Verrat von West Point und dem Quebec-Feldzug, aber als Andrew ihn etwas über die Schlacht von Valcour Island fragte, erstarrte er.«
»Was hat Andrew daraufhin getan?«
»Er deutete auf den Wandschrank. ›Die Waffe, Dulles, lass mich nicht wieder die Waffe herausholen.‹«
Paige Vallis beschrieb, wie der Junge auf die Drohung hin zu zittern begann. Sie war aufgestanden, hatte den Jungen an der Hand genommen und Andrew angefleht, aufzuhören und sie den Jungen mitnehmen zu lassen.
»Haben Sie versucht, die Wohnung zu verlassen?«
»Einspruch.«
»Abgelehnt. Fahren Sie fort, Ms. Vallis.«
»Natürlich. Ich sagte Andrew, dass ich Dulles mitnehmen würde. Er versperrte mir die Tür und sagte, er würde den Jungen nicht gehen lassen. Er sagte, dass er Leute hätte, die sich um mich kümmern würden, falls ich zur Polizei gehen würde. Das waren seine Worte. Ich schwor, dass ich nicht zur Polizei gehen würde, dass ich Dulles lediglich zu einem Arzt bringen wollte. Ich hatte keine Angst um mich – es ging mir nur um den armen Jungen.«
»Ging Andrew Tripping von der Tür weg?«
»Nein, tat er nicht. Er legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und fragte ihn, ob er die Waffe vergessen hätte. ›Tod den Verrätern‹, wiederholte er. ›Benedict Arnold war Abschaum.‹« Paige Vallis senkte den Kopf. »Dann machte er die Tür frei.«
»Haben Sie sie aufgemacht?«
»Nein, Miss Cooper. Nicht zu dem Zeitpunkt.«
Es wäre logisch gewesen, sie als Nächstes zu fragen, warum sie das nicht getan hatte, aber das Gesetz war nicht immer logisch. Sie durfte nicht über das sprechen, was in ihrem Kopf vorgegangen war, sondern nur über das, was sie getan und beobachtet hatte. »Was ist als Nächstes passiert?«
»Dulles riss sich los und lief zurück zum Stuhl. Sein Vater folgte ihm.«
»Was haben Sie getan?«
»Ich bin geblieben. Ich konnte es nicht ertragen, das Kind unter diesen Umständen zurückzulassen.«
Das war eins der größten Probleme, die wir mit den Geschworenen haben würden. Bis hierher hätte ich die Anklage wegen Kindeswohlgefährdung beweisen können, aber nicht viel mehr. Paige Vallis hatte zu diesem Zeitpunkt am sechsten März eindeutig die Möglichkeit gehabt, Schwierigkeiten
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