Der Leichenkeller
aus dem Weg zu gehen. Sie war weder Zeugin gewesen, wie Dulles Tripping geschlagen wurde, noch wusste sie, wie er sich die blauen Flecken zugezogen hatte. Sie war dabei gewesen, als Andrew von einer Waffe gesprochen hatte, aber sie hatte die Waffe weder gesehen, noch war sie mit ihr bedroht worden.
»Einspruch«, sagte Peter Robelon. »Ich beantrage die Streichung aus dem Protokoll.«
»Einspruch stattgegeben«, sagte Moffett. Er tippte auf das Geländer vor sich und bat die Stenografin, Paiges Bemerkung, dass sie es nicht ertragen konnte, Dulles zurückzulassen, zu streichen.
Aber die Geschworenen hatten die Worte gehört. Es war unmöglich, sie aus ihren Köpfen zu radieren.
»Was hat der Angeklagte als Nächstes getan?«
»Er nahm etwas aus seiner Tasche. Etwas Kleines. Zuerst konnte ich nicht sehen, was es war. Dulles fing zu winseln an. ›Bitte nicht‹, wiederholte er ständig.«
»Konnten Sie irgendwann erkennen, was das Objekt war?«
»Eine Pinzette. Eine kleine Metallpinzette. Er drückte den Kopf des Jungen nach hinten und fuhr ihm mit der Pinzette in die Nase.«
Die Geschworene Nummer vier rutschte in ihrem Stuhl nach unten und schloss die Augen. Eine angemessene Reaktion. Nummer acht beugte sich vor und schien die Details zu genießen. Zweifellos zu viel ferngesehen.
»Was haben Sie getan?«
»Ich lief hin, um ihn aufzuhalten. Aber ich kam zu spät. Er hatte sie dem Jungen bereits in die Nase gesteckt, und ich hatte Angst, ihm noch mehr wehzutun, wenn ich an seinem Arm rüttelte. Nach ein paar Sekunden zog er dem Jungen ein blutiges Stück Baumwolle aus der Nase.«
»Wurde irgendetwas darüber gesagt?«
»Ja, Andrew sagte mir, dass er Dulles den Tampon in die Nase gesteckt hätte, weil Dulles geblutet hatte. Für mich sah es aus, als ob der Tampon genauso schmerzhaft gewesen sein musste wie der Schlag, der das Bluten verursacht hatte.«
»Einspruch, Euer Ehren.«
»Stattgegeben.«
Die Geschworenen hörten aufmerksam zu; einige von ihnen sahen gelegentlich zum Tisch der Verteidigung hinüber, um zu sehen, wie Andrew Tripping auf Paige Vallis’ Zeugenaussage reagierte. Ich brauchte unbedingt die Zeugenaussage von Dulles. Ohne ihn war das der einzige Hinweis auf die allabendliche Quälerei durch seinen Vater.
Die Mittagspause unterbrach erneut den Fortgang der Erzählung. Weder Paige noch mir war nach Essen zumute; sie knabberte an einem Sandwich, und ich stocherte in meinem Salat herum. Ich wusste, dass ich bis zum späten Nachmittag fürchterliche Kopfschmerzen haben würde, weil das Verfahren bloß noch stressiger werden konnte und ich nichts gegessen hatte.
Wieder im Zeugenstand schilderte Paige den Rest des bizarren Abends. Irgendwann nach Mitternacht erlaubte Andrew seinem Sohn, seinen Schlafanzug anzuziehen und sich auf dem engen Feldbett im Flur schlafen zu legen.
Dann, sagte Vallis, erzählte ihr Andrew mehr als zwei Stunden lang, welch enormer Druck es sei, den Jungen allein großzuziehen.
»Es muss zwei Uhr nachts gewesen sein«, sagte sie. »Da stand Andrew plötzlich auf und stellte sich vor mich. ›Du kommst jetzt mit‹, sagte er. ›Ich will, dass du mit ins Schlafzimmer kommst und dich ausziehst.‹«
»Was haben Sie getan?«
»Ich habe ›Nein‹ gesagt.« Vallis versuchte, gefasst zu bleiben, und sah mich an Stelle der Geschworenen an. »Ich habe gesagt: ›Tu das nicht, Andrew.‹«
»Hat Andrew darauf geantwortet?«
»Ja. Er sagte: ›Willst du, dass ich dir wehtue? Oder meinem Sohn?‹«
»Was haben Sie getan, Paige?«, fragte ich.
»Ich hatte keine Wahl. Ich … ich –«
»Einspruch, Euer Ehren. Das werden die Geschworenen entscheiden«, sagte Robelon und grinste den Geschworenen zu.
»Stattgegeben.«
»Ich ging ins Schlafzimmer und tat genau, was Andrew Tripping mir befahl«, sagte Paige, die endlich auf Robelon wütend wurde. »Ich hatte Angst, dass er seinen Sohn umbringen würde, und ich hatte Angst, dass er mir etwas antun würde.«
»Seit Dulles ins Bett gegangen war – hat Andrew da noch einmal die Schusswaffe erwähnt?«
Vallis antwortete leise: »Nein.«
»Haben Sie jemals eine Schusswaffe in der Wohnung gesehen?«
»Nein.«
»Haben Sie irgendwelche anderen Waffen gesehen?«
»Ja, viele. Seltsames Zeug an den Wänden und auf den Tischen. Macheten und Schwerter und andere merkwürdige Dinger mit Klingen. Ich wüsste nicht einmal, wie die alle heißen.«
»Hat er sie mit irgendwelchen dieser Waffen bedroht?«
»Nein. Nicht
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