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Der Leichenkeller

Der Leichenkeller

Titel: Der Leichenkeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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nicht.«
    »Sei nicht so stur.«
    Ich schlug meinen Kragen hoch, überquerte mit Mike die Straße und wartete, während er seine Autoschlüssel herauskramte und im Kofferraum herumwühlte.
    »Da du mich heute Abend versetzt, stell ich dir eine Ersatz -Jeopardy! -Frage«, sagte er. »Militärgeschichte.«
    »Da habe ich von vornherein verloren.«
    »Die Antwort lernt man in der Grundausbildung. Drei Dinge, die ein Soldat in Uniform nicht tun soll.« Er hatte einen alten schwarzen Golfschirm gefunden und versuchte, ihn unter einem Spurensicherungskoffer und orangefarbenen Starthilfekabeln hervorzuziehen. »Na gut, ich sag’s dir. Einen Kinderwagen schieben, Gummistiefel tragen, und einen Regenschirm benutzen.«
    Er zog den Schirm heraus und bog beim Öffnen zwei verbogene Metallstreben gerade. »Warst du schon mal an einem regnerischen Herbsttag bei einem Armee-Marine-Spiel?«, fragte er. »Die Seeleute sitzen unter ihren Schirmen, die Landratten werden patschnass. Napoleon lachte über die britischen Truppen, die 1815 bei Waterloo Schirme dabei hatten. Rat mal, wer gewonnen hat?«
    Ich drehte den Schirm ein paarmal und machte mich auf den Weg. »Bis morgen dann. Richte Valerie schöne Grüße von mir aus.«
    Büroangestellte, die vom Wetterumschwung überrascht worden waren, hasteten zum U-Bahn-Eingang im Foley Square. Ich lief daran vorbei, durchquerte den City-Hall-Park und spazierte dann in südlicher Richtung den Broadway hinab, der besser beleuchtet war als die kleinen Seitenstraßen des Finanzdistrikts.
    Mir stockte noch immer jedes Mal der Atem, wenn ich an dem riesigen Loch hinter dem Friedhof der Trinity-Kirche vorbeiging, das aller Welt als Ground Zero bekannt war. Ich senkte den Kopf und wich mit einem flauen Gefühl in der Magengrube Fußgängern und Pfützen aus.
    Am Bowling Green bog ich nach links und stapfte die letzten drei Blocks im strömenden Regen die Whitehall Street hinunter.
    Ich war nun am südlichsten Zipfel von Manhattan – der Battery – benannt nach der Batterie, die in der Kolonialzeit diese verwundbare Landspitze bewacht hatte. Die Adresse, die mir Paige Vallis’ Boss gegeben hatte, 7 State Street, war, abgesehen von der Festung Castle Clinton, das südlichste Gebäude auf der ganzen Insel.
    Im schummrigen Laternenlicht waren die Hausnummern nur schwer zu entziffern, und ich suchte vergeblich nach etwas, das einer katholischen Kirche ähnelte. Passanten rannten an mir vorbei zur Staten-Island-Fähre und zum Expressbus, die sie in die Randbezirke bringen würden. Ich machte kehrt und erkundigte mich in einem Café nach dem Weg zur Gedenkstätte der heiligen Elizabeth Seton.
    Ich hatte mich von der Fassade täuschen lassen. Die kleine Kapelle im frühen Federal-Stil, deren Stufen ich nun erklomm, war im späten achtzehnten Jahrhundert ein Privathaus gewesen. Die schlanken ionischen Säulen und die kunstvollen Details im Inneren hatten zweihundert Jahre kommerzieller Stadtplanung überlebt; heutzutage beherbergte das Gebäude einen kleinen Altarraum, der nach Amerikas erster Heiligen benannt war.
    Der Gottesdienst hatte bereits begonnen. Ich schlüpfte hinten auf eine Bank unter einen schmiedeeisernen Balkon, wo mich die anderen Trauergäste, die Paige die letzte Ehre erwiesen, nicht sehen konnten.
    Zwischen Gebeten und musikalischen Einlagen sprachen verschiedene Arbeitskollegen ergreifende Nachrufe auf Paige und beklagten ihren frühen, gewaltsamen Tod. Unter den Anwesenden waren mehr Männer als Frauen, alle in den Wall-Street-Einheitsfarben Blau und Grau gekleidet. Die meisten älteren Frauen tupften sich mit Taschentüchern die Augen.
    Ich wusste nicht, wer außer ihrem Boss und zwei Kollegen noch von Paiges Verwicklung in den Vergewaltigungsprozess wusste. Erwähnt wurde er nicht. Ich suchte den Raum nach dem Mann ab, der sich Paige gegenüber als Harry Strait ausgegeben hatte, konnte aber niemanden entdecken, der ihm ähnlich sah.
    Bei der letzten Hymne »Now the Day is Over« standen alle auf und blieben stehen, während der Organist den Schlusschoral spielte. Im Hinausgehen unterhielten sich die meisten Trauergäste schon wieder darüber, wie der Markt heute abgeschnitten hatte und ob die Notenbank als Reaktion auf die jüngsten Anzeichen wirtschaftlichen Aufschwungs die Zinsen erhöhen würde. Einige planten, ihr Gedenken an Paige bei ein paar Martinis in der nächstgelegenen Bar fortzusetzen.
    Ich blieb sitzen, um ein paar Minuten in Ruhe nachzudenken. Mercer war bisher nicht

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