Der Leichenkeller
– der Exekutivorder 12368.
Mercer sprach laut aus, was ich dachte. »Der König von Ägypten wurde vor fast einem halben Jahrhundert ins Exil geschickt, und er ist seit über dreißig Jahren tot. Was zum Teufel hat das mit unserer momentanen nationalen Sicherheit zu tun?«
26
Ich starrte ebenso fasziniert auf die glänzenden Gold- und Silbermünzen in der Schaufensterauslage der Gebrüder Stark wie damals Holly Golightly auf die Diamanten bei Tiffany’s. Jede Münze lag einzeln auf einem dunkelblauen Samtkissen, eine Präsentationsweise, die mehr an ein Museum als an einen Einzelhändler erinnerte.
Als Mike eintraf, meldeten wir uns am Empfang an. Er warf einen schnellen Blick auf die Münzvitrinen. »Nette Sparschweinchen, hm?«
»Hast du heute irgendetwas erreicht?«, fragte Mercer.
»Nicht viel. Ich habe die meiste Zeit damit verbracht herauszufinden, wer unserer lieben Ms. Cooper gestern Abend eins übergebraten hat.«
»Hast du dich beim ersten Revier erkundigt, ob sie schon ähnliche Fälle gehabt haben?«, fragte ich.
Mike wandte sich an Mercer. »Ich kann wohl von Glück reden, dass sie morgens nicht bei mir antanzt, um sicherzugehen, dass ich Unterwäsche anziehe.«
»Und sie haben bisher keine Fälle in der Art gehabt?«
»Downtown gibt es ein paar kritische Fleckchen. Aber die Gegend zwischen der Fähranlegestelle und der Promenade mit den ganzen Bushaltestellen ist ziemlich gut bewacht. Dort laufen zu viele Wall-Street-Yuppies rum, die sich sonst über die Bettler und Penner aufregen würden.«
»Hast du die Sache mit dem Gefängniswärter überprüft?«
»Wir sind gerade dabei. Arbeitsschichten, Fotos, Größe, Gewicht und so weiter. Aber ich habe noch etwas herausgefunden.«
»Was?«, fragte Mercer.
»Es könnte auch ein Gerichtspolizist gewesen sein. Die tragen ebenfalls blaue Uniformhosen. Einer von denen könnte vor dem Gericht auf Coop gewartet haben und ihr zur Kirche gefolgt sein.«
»Ich habe keine Feinde bei der Gerichtspolizei – ich schwör’s.« Ich lachte. »Meine Abteilung ist wahrscheinlich für mehr Überstunden verantwortlich als jede andere Einheit der Staatsanwaltschaft. Und Laura bäckt ihnen jedes Mal, wenn ich vor Gericht gehe, Kekse.«
»Und was ist mit deiner Freundin Etta Gatts? Ihr Schwager ist Gerichtspolizist. Der Lieblingsonkel der kleinen Tiffany, der Bruder ihres verstorbenen Vaters.«
»Im Strafgericht?« Ich kramte in meinem Gedächtnis, ob ich einen Gerichtspolizisten namens Gatts kannte.
Mike verneinte. »Oberstes Gericht, Zivilrecht. 60 Centre Street.«
»Aber damit habe ich –«
»Sie hat dir gedroht, dass ihre Leute mit dir noch nicht fertig sind. Erinnerst du dich?«
»Ja, aber Tiffany hat heute Will Nedim angerufen. Er denkt, dass sie drauf und dran ist, Kevin Bessemer zu verpfeifen.«
»Na, womöglich ist ihre Mama noch nicht auf dem neuesten Stand. Denk dran, du bist gestern Abend auf dem Weg nach Downtown direkt an den Stufen des Gerichts vorbeigelaufen.«
»Wie hätte er wissen sollen, wer ich bin?«
»Sei nicht naiv, Coop. Vielleicht war er dabei, als Etta Gatts nach Tiffanys Verhaftung in dein Büro kam. Er hat die richtige Uniform, den richtigen Ausweis – es wäre doch denkbar, dass sie ihn angerufen und um Hilfe gebeten hat. Jeder hätte ihm zeigen können, wer du bist. Eventuell hat er sogar deine Reifen auf dem Gewissen.«
Mercer nickte. »Motiv, Gelegenheit –«
»Bald wird ich nur noch zu P.J. Bernstein’s gehen können.« Der Deli gleich bei mir um die Ecke, keine zwanzig Meter von meiner Haustür entfernt, war der beste Platz zum Auftanken und Entspannen, wenn ich mich nicht zu weit von zu Hause wegbewegen wollte.
»Das Schlimmste, das dir dort passieren kann, ist, dass du von den Latkes Herzrasen kriegst«, sagte Mike.
»Mr. Stark kann Sie jetzt empfangen«, sagte die Rezeptionistin und drückte einen Knopf auf ihrem Schreibtisch, um die erste der verschlossenen Türen, die zu den Büros führten, zu öffnen. Sobald wir durch sie hindurchgegangen waren, drückte sie erneut, und ein Metallgitter, wie es in Banksaferäumen verwendet wird, klickte auf. Zudem waren noch Überwachungskameras installiert.
Bernard Stark stand hinter seinem Schreibtisch. Das Fenster bot Ausblick auf den gesamten Central Park und den wolkenverhangenen Himmel. Ich schätzte Mr. Stark auf Ende sechzig. Dafür hatte er sich gut gehalten, selbst wenn sein graues Haar schon schütter wurde. Er trug einen gut sitzenden Maßanzug, war
Weitere Kostenlose Bücher