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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
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sogar den Expressen gekauft, woran sie den Grad meiner Verzweifelung erkennen können. Dann bin ich mit einer kleinen Plastiktüte zurück zur Wohnung, um die Lage zu untersuchen.«
    »Woher kannten Sie den Zahlencode für das Eingangstor?«
    »Den hatte sie mir in ihrem Brief verraten, 2138, den werde ich wohl nie wieder vergessen. Da es draußen langsam kalt wurde, setzte ich mich wieder auf die Stufen und ignorierte all die unfreundlichen Blicke der Leute, die durch das Tor gingen.
    Dort saß ich also, futterte meine Süßigkeiten und las den Expressen. Wirklich die reine Zeitverschwendung. Langsam schwante mir, dass weiteres Warten zwecklos war, und ich überlegte, ob ich den Rest des Abends nicht mit Ivan, dem Besitzer des Ateliers, verbringen sollte. Alles war besser, als weiter wie ein Idiot auf den Stufen zu hocken. Obwohl ich wusste, dass es sinnlos war, klingelte ich noch einmal und drückte noch einmal die Türklinke hinunter – und siehe da, die Tür ging auf. Ich war völlig verdutzt und habe sicher ziemlich blöd aus der Wäsche geschaut. Ein Stockwerk über mir wurde eine Tür geöffnet, worauf jemand die Treppe hinunterlief.
    Ich zog mich rasch in die Wohnung zurück und schloss die Tür hinter mir, um nicht gesehen zu werden.«
    »Wie spät war es da?«
    »Ich weiß es nicht, vielleicht sechs Uhr, jedenfalls war es immer noch hell draußen.«
    319

    »Sie sagten, Sie hätten am Vormittag zum ersten Mal an der Klinke gerüttelt. Sind Sie ganz sicher, dass die Tür zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen war?«
    »Ja, hundertprozentig sicher. Ich habe mit aller Kraft daran gerüttelt. Am Abend glitt die Tür dagegen mit Leichtigkeit auf.«
    »Und zwischendurch haben Sie kein weiteres Mal die Klinke gedrückt?«
    »Nein, kein weiteres Mal.«
    »In Ordnung, fahren Sie fort.«
    »Zuerst schaute ich in die Küche. Ich hatte ein mulmiges Gefühl, als wäre ich ein Einbrecher. Mir kam die ganze Situation nicht geheuer vor. Die Tür zum Schlafzimmer war ebenfalls angelehnt. Ich schob sie auf und tastete in dem dunklen Raum nach einem Lichtschalter. Als ich die Deckenlampe einschaltete, begriff ich sofort, dass die Person, die auf dem Bett lag, tot sein musste. Die Decke war über ihren Kopf gezogen und die Beine waren sonderbar verdreht. Dann sah ich, dass das ganze Bett voller Blut war. Ich begann zu zittern und traute mich nicht, die Decke wegzuziehen. Trotzdem war ich mir vollkommen sicher, dass es sich um Marianne Wester handelte, die in ihrem Bett ermordet worden war. Dann hatte ich plötzlich das Gefühl, dass sich in irgendeinem Winkel ein Psychopath versteckt hielt und mich beobachtete. Meine Beine wären fast eingeknickt, aber irgendwie bin ich in den Flur gekommen und war drauf und dran, ins Treppenhaus zu stürzen und um Hilfe zu rufen. Doch mein nächster Gedanke war, dass mich jeder für den Mörder halten würde; ich weiß nicht, warum, vielleicht hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich so wütend auf sie gewesen war. Jedenfalls nahm ich mich zusammen und dachte nach. Es brauchte ja niemand zu wissen, dass ich in der Wohnung gewesen war und sie gesehen hatte. Aber dazu musste ich meine Fingerabdrücke beseitigen. Es gab schließlich Leute, die wussten, dass ich sie kannte, und ihre Nachbarn hatten mich 320

    den ganzen Tag um das Haus streichen sehen. In der Küche fand ich ein Geschirrtuch, das immer noch feucht war, und so habe ich mich gezwungen, ins Schlafzimmer zurückzugehen, um den Lichtschalter und den Teil der Tür abzuwischen, den ich möglicherweise berührt hatte. Mit dem Geschirrtuch habe ich auch das Licht wieder ausgeschaltet und kam mir dabei ziemlich clever vor, aber die Plastiktüte, die ich bei ihrem Anblick vermutlich fallen gelassen hatte, habe ich völlig vergessen. Auf dem Weg zur Haustür habe ich ziemlich unsystematisch die Stellen abgewischt, von denen ich glaubte, ich hätte sie berührt, und schließlich dachte ich noch daran, die Klinke der Wohnungstür von beiden Seiten zu reinigen. Ich überlegte, was ich mit der Tür machen sollte, und entschied mich – ich weiß nicht, warum –, sie hinter mir zuzuziehen. Dann lief ich davon.
    Das Geschirrtuch warf ich irgendwo an der Norrlandsgata in einen Mülleimer. Ich hatte keine Ahnung, wo ich hin sollte, ich wollte nur weg, weg, weg. Kurz darauf fand ich mich in der Kungsgata wieder und sah einige Leute vor dem Kino stehen.
    Ohne groß nachzudenken kaufte ich mir ebenfalls eine Karte und folgte den Leuten mit hinein. Ich

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