Der leiseste Verdacht
PM fragend.
»Herrgott, Patrik!«, rief Roffe entnervt aus. »Warum machst du hier so ein Theater? An den Fakten führt kein Weg vorbei.«
Erneut loderte PMs Zorn auf. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie: »Was für eine verdammte Einkaufstüte? Ich weiß nicht, wovon du redest.«
In diesem Augenblick zuckte eine Erinnerung durch seinen Kopf und er verstummte. Eine Szene spielte sich vor seinem inneren Auge ab. Eine unangenehme Szene, in der er eine geradezu lächerliche Figur abgegeben hatte. Unwillkürlich zog sich sein Gesicht zusammen. Er musste ein erschreckendes Bild geboten haben, denn Roffe beugte sich ihm entgegen und fragte in sanfterem Ton: »Was ist? Geht’s dir nicht gut?«
PM schüttelte den Kopf. »Die Tüte hatte ich völlig vergessen«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Ich bekam es so mit der Angst zu tun, dass ich sie einfach stehen ließ und davonrannte.«
»Aber warum hast du mir nicht gesagt, dass du in der Wohnung warst?«
»Ist das so schwer zu verstehen?«, rief PM aufgebracht. »Ich hatte ganz einfach die Hosen voll. Sie war tot. Jemand hatte sie umgebracht, anscheinend erst kurz zuvor. Und ich war in ihrer Wohnung. Ich hatte nichts mit der Sache zu tun, aber wer würde mir das schon glauben? In Panik bin ich aus der Wohnung gerannt und habe die ganze Szene seitdem völlig verdrängt. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb habe ich mir eingeredet, sie nie gesehen zu haben.«
Roffe schaute ihn skeptisch an. »Als ich dir erzählte, dass ihr jemand den Hals durchgeschnitten hat, hast du sehr heftig 314
reagiert«, sagte er. »Du wusstest zu diesem Zeitpunkt aber schon, dass sie ermordet worden war. Du hast mir also alles nur vorgespielt?«
PM schaute ihm in die Augen und schüttelte den Kopf. »Nein, das war absolut nicht gespielt. Ich wusste nicht, dass man ihr die Kehle durchgeschnitten hatte. Als du mir das erzählt hast, kam mir die ganze Szene wieder zu Bewusstsein. Es war wie ein verspäteter Schock. Ich habe sie nie richtig angesehen. Als ich begriff, dass sie tot war, bin ich Hals über Kopf geflüchtet.«
Roffe blickte ihn düster an. »Es wäre weitaus klüger gewesen, wenn du mir das von Anfang an erzählt hättest«, sagte er.
Die Tür öffnete sich, und Wagnhärad kam herein. Er nickte PM freundlich zu und stellte sein Aufnahmegerät auf den Tisch.
Roffe sagte: »Nun hast du jedenfalls Gelegenheit, wahrheitsgetreu zu schildern, was damals passiert ist. Lasse wird das Verhör leiten.«
Roffe und Wagnhärad ließen sich am Tisch nieder. PM
schaute von einem zum andern. Dann ließ er seinen scheuen Blick durch den nackten Raum schweifen.
»Was passiert danach?«, fragte er gehetzt. »Werde ich eingebuchtet oder kann ich nach Hause fahren?«
Roffe schaute auf die Tischplatte.
»Nach dem Verhör kannst du gehen«, sagte er kurz angebunden.
»Aber ich weiß nicht, was meine Kollegen in Stockholm mit dir vorhaben. Das hängt wohl davon ab, was jetzt ans Tageslicht kommt.«
»War es wirklich nötig, die beiden Gorillas zu schicken und mich so zu erschrecken?«, fragte PM grimmig. »Hättest du mich nicht einfach bitten können, hierher zu kommen?«
Roffe verzog den Mund und schaute seinen Freund amüsiert an.
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»Du wirst ziemlich überrascht gewesen sein«, sagte er mit einem Anflug von Schadenfreude.
»Überrascht?«, rief PM beleidigt. »Ich hätte fast mein Vertrauen in den Rechtsstaat verloren.«
»Was meinst du, wie ich mich gefühlt habe, als ich erfuhr, dass du mich angelogen hast?«, entgegnete Roffe schroff. »Ich war nicht in der Stimmung, dich um irgendwas zu bitten. Ich wollte dich wachrütteln. Außerdem hättest du auch gar keinen Wagen gehabt, um allein in die Stadt zu kommen. Katharina ist schließlich bei der Arbeit.«
Wagnhärad schaltete das Aufnahmegerät ein.
»Also von Anfang an«, sagte er. »Erzählen Sie uns, was Sie getan haben, nachdem Sie am Dienstag, den fünfundzwanzigsten April, in Stockholm aus dem Zug stiegen.
Um wie viel Uhr sind Sie eigentlich angekommen?«
»Um sechs«, antwortete PM mürrisch.
»Was taten Sie dann?«
»Ich habe die U-Bahn zum Mariatorget genommen. Ein Freund von mir hat ein Atelier in der Tavastgata, zu dem ich einen Schlüssel habe. Ich pflege dort zu übernachten, wenn ich in Stockholm bin.«
»Dorthin sind Sie also zuerst gefahren?«
»So früh am Morgen wollte ich Frau Wester nicht belästigen.
Außerdem fühlte ich mich nach der Nacht im Zug wie zerschlagen. Ich habe schließlich nicht
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