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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
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zusammengesunken auf einem Stuhl, als wäre alle Luft aus ihm gewichen. Er sah mitgenommen und geistesabwesend aus. Gudrun gab ihm ein Zeichen, dass das Aufnahmegerät lief, worauf Roffe unerbittlich sein Verhör fortsetzte.
    »Wusste Marianne, dass du untertauchen wolltest?«
    Axel stützte den Kopf auf die Hände und starrte teilnahmslos zu Boden. Er schien mit seinen Kräften am Ende. Sein Gesicht war grau, die Augen matt und gerötet. Sein teurer Anzug war in einem bemitleidenswerten Zustand. Offenbar hatten sie ihm zu essen und zu trinken gegeben, während er gefesselt war; die Hälfte hatte er auf seinen Anzug gekleckert. Dieses eine Mal schien er sich nicht um sein Erscheinungsbild zu scheren, obwohl sich eine Frau im Raum befand. Er deutete kraftlos auf die Leuchtröhre an der Decke und sagte: »Ich wäre euch dankbar, wenn ihr das Licht etwas dämpfen könntet. Ich habe stechende Kopfschmerzen.«
    371

    Gudrun stand auf und löschte das Licht. Die Schreibtischlampe warf einen matten und vertraulichen Schein in den Raum.
    »Möchten Sie jetzt ein paar Kopfschmerztabletten?«, fragte sie.
    »Ja, bitte.«
    Sie gab ihm ein Glas Wasser und zwei Tabletten. Als er sie hinuntergespült hatte, sah er Roffe gequält an.
    »Entschuldige, was hattest du gefragt?«
    »Ich hatte gefragt, ob Marianne in deine Pläne eingeweiht war.«
    »Ja, das war sie … in gewisser Weise.«
    »Was heißt das?«
    »Auch sie wollte aussteigen. Sie hasste Enqvist und hatte ebenso große Angst vor ihm wie ich. Wir hatten ein paarmal unverbindlich darüber geredet, zusammen abzuhauen, aber ich glaube nicht, dass sie es ernst meinte. Gewollt hätte sie schon, aber wenn sie etwas noch mehr fürchtete als Enqvist und seine Gorillas, dann war es die Armut. Sie und Gisela hatten sich an einen luxuriösen Lebensstil gewöhnt, und solange sie ihren Job weitermachten wie bisher, hatten sie nahezu unbegrenzt Geld zur Verfügung.«
    »Was für ein Verhältnis hattet ihr zueinander? Ging es über eine rein geschäftliche Beziehung hinaus?«
    »Wenn du eine sexuelle Beziehung meinst, die hatten wir vor mehreren Jahren, aber das war schon lange vorbei. Wir waren einfach gute Freunde.«
    »Und, war sie jetzt in deine Fluchtpläne eingeweiht oder nicht?«
    »Am selben Abend, an dem ich verschwunden bin, habe ich sie besucht und ihr von meinen Plänen erzählt. Mir war klar, 372

    dass Enqvist sie zuerst ausquetschen würde, also wollte ich eine falsche Fährte auslegen.«
    »Was für eine falsche Fährte?«
    »Sie wusste, dass ich im Haus meiner Mutter in Christiansholm noch ein Zimmer besaß. Ich sagte ihr, ich wolle mich dort für ein paar Wochen verstecken und später nach Frankreich gehen. Früher waren wir ein paarmal zusammen in Südfrankreich gewesen, genauer gesagt in Toulon, und ich deutete an, ich wolle mich in dieser Gegend niederlassen.
    Natürlich habe ich ihr nicht verraten, dass ich zurückkommen wollte, um meine Schulden einzutreiben. Ich gab ihr vielmehr zu verstehen, dass ich bereits genug Geld hätte, um im Ausland neu anzufangen.«
    »Wie hat sie darauf reagiert?«
    »Sie konnte mich gut verstehen und wünschte mir viel Glück.
    Mehr gab es wohl auch nicht zu sagen.«
    »Wann bist du ihr das nächste Mal begegnet?«
    »Ich habe sie nie wieder gesehen.«
    »Du hast also keinen Kontakt mehr zu ihr gehabt, seit du im Oktober letzten Jahres untergetaucht bist?«
    »Nein, warum hätte ich ein solches Risiko eingehen sollen?
    Ich habe mich nicht getraut, auch nur zu einem einzigen meiner alten Freunde Kontakt aufzunehmen.«
    »Bist du direkt nach Dänemark gereist?«
    »Ja.«
    »An welchem Tag bist du nach Schweden zurückgekehrt, um deine Schulden einzutreiben?«
    »Das muss der neunzehnte April gewesen sein.«
    Sie wurden durch Hjalle unterbrochen, der den Kopf zur Tür hereinstreckte.
    »Kann ich dich kurz sprechen, Roffe?«
    373

    Roffe blickte zu Gudrun hinüber, die nickte.
    »Wir können ja inzwischen Kaffee trinken«, sagte sie und schob Axel eine Tasse entgegen.
    Roffe ging auf den Flur und zog die Tür hinter sich zu. Hjalle war seine Zufriedenheit immer noch anzusehen.
    »Ich werde hier gleich die Segel streichen. Aber du möchtest dir vielleicht kurz ansehen, was Hemberg in seiner Aktenmappe und in seinen Taschen hatte.«
    Er öffnete die Tür des gegenüberliegenden Raumes, schaltete das Licht an und legte die Aktentasche auf den Tisch.
    »Wie läuft’s denn?«
    Roffe öffnete die Aktentasche. »Er ist sehr gesprächig, aber

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