Der leiseste Verdacht
ihn, ob er etwas braucht«, sagte sie und war bereits auf dem Weg zum Ausgang.
»Ich komme später zurück«, rief sie über die Schulter.
Trotz ihres beharrlichen Klopfens blieb Nisses Haustür geschlossen. Als sie sich davon überzeugt hatte, dass sie ordentlich verriegelt war, ging sie um das von Brennnesseln umwucherte Haus herum, was mit ihren nackten Beinen kein leichtes Unterfangen war. Auf der Rückseite stand ein Fenster offen. Sie zögerte, denn es schien kein Zweifel zu bestehen, dass er in Ruhe gelassen werden wollte. Wie sehr durfte man einem anderen Menschen seine Hilfsbereitschaft aufdrängen? In diesem Fall durfte man, entschied sie und lehnte sich über die Fensterbrüstung.
»Nisse? Ich bin’s, Katharina!«
Sie zuckte zusammen und stieß einen unterdrückten Laut aus, als sie Nisse im Zwielicht direkt unter sich auf seiner Küchenbank liegen sah. Er drehte ruckartig den Kopf, womöglich noch erschrockener als sie. Die Hälfte seines Gesichts war blau verfärbt. Quer über der Stirn klebte ein großes Pflaster. Katharina kam nicht umhin, für einen Moment die gesamte Szenerie auf sich wirken zu lassen – den Gestank, die 404
Unordnung … –, und musste sich zusammenreißen, um sich nicht im Anblick von Nisses origineller Küche zu verlieren.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte sie hastig und sah in diesem Moment, dass eines seiner Beine verbunden war. »Ich habe mir Sorgen gemacht, als ich von Astrid Enoksson hörte, dass du dich verletzt hast. Wie geht’s dir?«
Nisse schwankte offenbar zwischen dem Drang, sie zur Hölle zu wünschen, und seinem Wunsch, ihr gutes Verhältnis nicht zu gefährden. Er entschied sich für einen Kompromiss und antwortete gereizt: »Wie soll man sich eigentlich erholen, wenn man keine Ruhe hat … aber natürlich ist es nett von dir, dass du vorbeischaust. Danke, ich komm ganz gut zurecht. Der Fuß ist geschwollen, und irgendwas stimmt mit dem Knie nicht; ich kann mich nicht auf den Beinen halten. Der Doktor hat gesagt, ich soll mich schonen und schlafen. Aber ich mache mir Sorgen um meine Schweine. Weißt du, ob sie ihr Futter bekommen?«
»Das kriegen sie bestimmt«, antwortete Katharina mit Überzeugung, musste in diesem Moment jedoch daran denken, dass Nygren nun ganz auf sich allein gestellt war. Wie sollte ein ehemaliger Spion oder was auch immer er war nur mit hundertfünfzig hungrigen Schweinen fertig werden?
»Weiß Nygren eigentlich, dass du dich verletzt hast?«, fragte sie, während ihr Blick suchend durch die Küche wanderte. Sie begriff jedoch, dass ein Telefon in Nisses Haus ein Anachronismus wäre.
»Willst du, dass ich mit ihm rede?«
»Der wird sich schon denken können, dass es mir nicht gut geht, wenn ich nicht komme. Aber das kannst du machen, wie du willst. Hauptsache, jemand schaut nach den Schweinen.«
»Mach dir um die keine Sorgen«, sagte Katharina. »Ich werde Nygren informieren, und notfalls bitten wir eben Kalle Svanberg 405
um Hilfe. Bist du sicher, dass du nichts brauchst, zum Beispiel etwas zu essen?«
Nisse zeigte auf einen Kochtopf, der auf dem Herd stand.
Katharina vermutete, dass sich irgendeine Grütze oder ein Brei darin befand.
»Ich komm schon zurecht. Wenn ich was brauche, kann Jespersson für mich einkaufen.«
»Dann lasse ich dich jetzt schlafen«, sagte sie. »Du solltest besser rasch gesund werden, sonst komme ich nämlich wieder und werde mich um dich kümmern«, drohte sie scherzhaft und klopfte ihm behutsam auf sein bandagiertes Bein. Diese Intimität war zu viel für Nisse. Er versuchte ihrer Hand zu entkommen und verzog schmerzhaft das Gesicht.
Katharina winkte reumütig, machte einen unbedachten Schritt zurück und stieg direkt in die hohen Brennnesseln. Sie fluchte gedämpft, als sie die Stiche an der Wade spürte.
Astrid erwartete offenbar nicht nur einen ausführlichen Krankenrapport, sondern auch einen detaillierten Bericht über den Zustand von Nisses Haus, über den in Äsperöd die wildesten Gerüchte kursierten. Doch in diesem Punkt hielt sich Katharina bedeckt und fühlte sich zur Loyalität gegenüber Nisse verpflichtet. Als Astrid spürte, dass sie auf Granit biss, begann sie Nygren, der ihrer Meinung nach vom Pech verfolgt werde, zu bemitleiden.
»Der Arme findet doch wirklich keine Ruhe, seit er hier ist«, sagte sie fast empört. »Nichts als Ärger hat er gehabt. Erst die Geschichte mit der Leiche und dann dieser Vorarbeiter, der ja ein Drogenabhängiger
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