Der leiseste Verdacht
kompakte Textmassen liefen. Schaute man aus dem überdimensionalen Fenster des schmalen Raums, sah man die Häuserzeile auf der anderen Straßenseite. Das Büro enthielt das übliche Inventar: Schreibtisch, Computer, mit Büchern und Unterlagen gefüllte Regale, eine nichts sagende Lithografie und zwei hässliche Stühle. Nach PMs Meinung ein Prototyp dieser beklemmenden Büroräume, deren Interieur nur der Notwendigkeit gehorchte und jeden persönlichen Zug im Keim erstickte.
Er trommelte mit den Fingerspitzen gegen den Türrahmen.
Roffe fuhr herum. Seine ernste Miene hellte sich auf.
»Schön, dass du da bist! Setz dich.«
Roffe deutete auf die Besucherstühle, die PM mit Widerwillen betrachtete. »Wärst du nicht hier, würde ich sofort Reißaus nehmen. Wie kannst du in so einer Atmosphäre nur arbeiten?«
Roffe lachte. »Ich habe gar keine Zeit, darüber
nachzudenken.« Er zeigte auf seine Stirn. »Dafür habe ich ein reiches Innenleben.«
»Vermisst du nicht das alte Präsidium? Hier kriegt man doch Depressionen.«
»Zugegeben, das alte Präsidium war schöner. Aber hier ist mehr Platz. Und heller ist es auch.«
PM setzte sich und schlug die Beine übereinander.
»Wie geht’s dir? Wir haben uns lange nicht gesehen.«
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»Könnte schlimmer sein, ich habe nur unglaublich viel zu tun.
Zu wenige Mitarbeiter und zu viele Verbrechen. Im Grunde bin ich ziemlich urlaubsreif.«
»Ich dachte, du kannst Urlaub nicht ausstehen.«
»Ist doch klar, dass die Ferien immer anstrengender werden mit Anita und den Kindern und der ganzen Familie. Ganz zu schweigen von all den Veranstaltungen, die man besuchen muss.«
»Aber ihr beide seid doch längst geschieden, und die Kinder sind erwachsen, jedenfalls zwei von ihnen. Du solltest endlich mal Urlaub von diesen Urlauben machen.«
»Das ist aber die einzige Zeit im Jahr, in der wir alle zusammen sind. Und ich hatte mich doch mit Anita darauf geeinigt, auch weiterhin gemeinsam Urlaub zu machen, der Kinder wegen.«
»Versuch’s mal mit Meuterei. Würde mich nicht wundern, wenn du nicht der Einzige wärst, der sich erleichtert fühlen würde. Wann kannst du Urlaub nehmen?«
»Nicht vor August.«
»Dann hast du ja noch ein paar Monate Zeit, um Kräfte zu sammeln.«
Roffe verzog das Gesicht. »Ausruhen kann ich mich, wenn ich tot bin. Unsere Abteilung ist sowieso schon völlig überlastet.
Und dann taucht auch noch diese Leiche bei euch auf. Ich wollte dir ein paar Fragen dazu stellen.«
PM sah erstaunt aus. »Sag nicht, dass du mich deswegen hierher zitiert hast.«
»Es ist leider unumgänglich«, sagte Roffe betrübt.
PM gab sich versöhnlich. »Kein Problem. Ich habe nichts dagegen, darüber zu sprechen. Ich weiß nur nicht, was ich dir noch erzählen soll. Alles, was ich weiß, habe ich doch schon deinen beiden Kollegen gesagt, die uns besucht haben.«
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Roffe sah ihn ernst an. »Darf ich dir zuerst eine Frage zu deinem Ausflug nach Stockholm stellen?«
»Natürlich.«
»Hast du möglicherweise Axel Hemberg getroffen?«
»Was zum Teufel hat das mit der Sache zu tun? Aber wenn du es unbedingt wissen willst – ich habe ihn nicht getroffen! Der Dreckskerl ist abgetaucht. Das solltest du eigentlich wissen.«
»Schon, aber ich dachte, du wolltest jemanden treffen, der dir angeblich einen Teil deines Geldes beschaffen könnte, um das Hemberg dich betrogen hat. Hat dieser Jemand behauptet, in Kontakt zu Hemberg zu stehen?«
PM sah Roffe verwirrt an. »Worauf willst du hinaus?«
Roffe gab ihm ein Blatt Papier, das auf seinem Schreibtisch gelegen hatte. »Das haben wir gestern mit der Post bekommen.«
Es war ein maschinengeschriebener Brief, adressiert an das Polizeipräsidium in Christiansholm.
Wie ich durch einen Zeitungsbericht erfahren habe, wurde in einer Jauchegrube auf Hof Knigarp eine männliche Leiche gefunden. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass es sich um den
Stockholmer Galeriebesitzer Axel Hemberg handeln könnte, der seit September vorigen Jahres spurlos verschwunden ist. Hemberg war zunächst aus
persönlichen Gründen untergetaucht, doch seit ein gewisser Patrik Andersson, besser bekannt als
Patrik der Maler, mich gezwungen hat, ihm
Hembergs Geheimadresse in Christiansholm
mitzuteilen, und überdies gedroht hat, Hemberg umzubringen, haben weder ich noch sonst jemand etwas von Hemberg gehört.
Marianne Wester
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Gewohnheitsgemäß registrierte Roffe jede noch so kleine Veränderung im Gesichtsausdruck seines Freundes,
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