Der leiseste Verdacht
Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Vater. In jugendlicher Raserei brach er mit seiner Familie und folgte seinem Freund Patrik nach Stockholm.
Aus Patriks Musikstudium war nicht viel geworden, denn im Stockholm der sechziger Jahre, das von Studentenunruhen, der Anti-Vietnam-Bewegung und der Hippiezeit geprägt war, gab es allzu viele Ablenkungen. Patrik fand sich inmitten aller -ismen und subversiven Anschauungen mühelos zurecht, hatte bereits jede Menge Freunde unterschiedlichster Herkunft und hielt sich vorwiegend in Künstlerkreisen auf. Sein Cello nahm er nur sporadisch zur Hand, dafür widmete er sich zunehmend der Malerei. Es war zu dieser Zeit, dass er sich einen Bart und den Namen Patrik der Maler zulegte und die Leute ihn PM zu nennen begannen.
Zwischen Patriks leidenschaftlichen und selbstbewussten Freunden kam sich Roffe stets deplatziert vor. An den Studentenrevolten und Anti-Vietnam-Demonstrationen nahm er nur halbherzig teil. Ein paar Mal begleitete er PM in die einschlägigen Lokale, in denen man vor Zigarettenqualm kaum atmen konnte und Ravi Shankars nicht enden wollendes Sitarspiel sowie der Hollenlärm der Rolling Stones jede Unterhaltung unmöglich machten. Im Zwielicht, denn etwas anderes als Kerzenschein gab es in diesen Kneipen nicht, ahnte er die bleichen, in sich gekehrten Gesichter. Er hatte tapfer an den ständig kursierenden Joints gezogen und war in eine narzisstische Selbstbespiegelung versunken. Die Frauen waren in seiner Erinnerung schmerzlich schön und unerreichbar 87
gewesen. Wie junge Priesterinnen thronten sie zwischen marokkanischen Kissen und indischen Tüchern und schwebten zweifellos in höheren Sphären als er. Er hätte nicht einmal zu träumen gewagt, dass er ihnen gefallen könnte. Patrik fühlte sich in diesem Milieu hingegen wie zu Hause, und was Frauen anging, war ihm jede Unsicherheit fremd.
Nein, der Versuch des Freundes, einen Revolutionär aus ihm zu machen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Im Herbst 1965 schrieb sich Roffe an der juristischen Fakultät ein.
Im Jahr darauf wurde Patrik an der Kunstakademie
aufgenommen. Da Patrik außerdem viel reiste, sahen sie sich in den nächsten Jahren nur selten.
Während seines Jurastudiums lernte Roffe Anita kennen. Ein Grund für ihre gegenseitige Anziehungskraft bestand darin, dass sie beide mit ihren Familien gebrochen hatten. Er war unter der scheinheiligen Tyrannei seines Vaters aufgewachsen, während sie unter ihrer machtbesessenen Mutter gelitten hatte. Zwei verwundete und ausgestoßene Seelen waren sich begegnet und wärmten sich am Verständnis des anderen. Zumindest zu Beginn.
Ehe er es sich versah, wohnten sie in einer Einzimmerwohnung in Hagersten und erwarteten ihr erstes Kind, das den Namen Martin tragen sollte. Ihre finanzielle Lage war mehr als bescheiden, und er wusste nicht mehr richtig, wie es begonnen hatte, doch als sie nach einem weiteren Jahr der Geburt ihres zweiten Kindes Susanne entgegenblickten, kroch das stolze, aber bettelarme Paar zu Kreuze und versöhnte sich mit seinen Eltern. Eine Heirat war unausweichlich und hatte, quasi als Belohnung für gutes Betragen, eine materielle Unterstützung beider Großelternpaare zur Folge.
Es bestand kein Zweifel, dass Roffe dazu neigte, sein Leben kompliziert zu machen. Das begriff er, als ihm die Arbeit in seinem bescheidenen, aber hoch verschuldeten Haus in Högdalen mal wieder über den Kopf wuchs. Seine Frau, die sich 88
seit der großen Versöhnung in ständigem Streit mit ihrer Mutter befand, hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten – und ihm die tägliche Beaufsichtigung ihrer beiden Kinder übertragen.
Dies allein wäre kein Problem gewesen, hätte er nicht darüber hinaus mit seinem Vater in permanenten, demütigenden Verhandlungen wegen eventueller Vorschüsse gelegen, um die nächste Ratenzahlung leisten zu können. Doch waren nicht alle Tage so bedrückend gewesen. Er und Anita waren damals überzeugt davon, das Ziel ihrer Wünsche erreicht zu haben, und in gewisser Weise stimmte das auch.
Trotz des kräftezehrenden Familienlebens gelang es ihm schließlich, sein Studium zu Ende zu bringen. Doch als er sich dem Examen näherte, begriff er, dass seine Noten keinesfalls ausreichen würden, um eine glänzende Karriere als Richter oder Staatsanwalt in Angriff zu nehmen. Nicht einmal für eine Laufbahn als gewöhnlicher Anwalt oder Wirtschaftsjurist würden sie ausreichen. Die rettende Idee lag im Grunde auf der Hand, da
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