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Der letzte Abend der Saison

Der letzte Abend der Saison

Titel: Der letzte Abend der Saison Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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sehr müde aussah.
    »Darf ich morgen mit Ihnen zum Meer fahren?«
    »Ja, natürlich«, antwortete er. »Da bin ich zu Hause.«
    »Es wird Ihr letzter Tag sein«, sagte sie.
    »Das hier ist meine letzte Nacht«, erwiderte er. Er schaute sich etwas unbestimmt um. »Ich bin in einem Ort nur wenige Meilen entfernt von hier aufgewachsen.« Er sah sie wieder an. »Wenn ich mir erlauben darf, Sie zu einem Hotelzimmer einzuladen, dann können wir etwas später heute Abend hier auf der Terrasse etwas essen.«
    Sie antwortete nicht.
    »Das tue ich natürlich aus rein egoistischen Gründen«, sagte er. »Aber vielleicht nicht ganz so, wie Sie meinen. Die letzte Nacht, oder zumindest den letzten Abend, sollte man ja nicht allein dasitzen, wenn es vermeidbar ist.«
    »Ich glaube, dass Sie ein anständiger Mann sind«, sagte sie. »Aber würde es nicht besser sein, heute Abend allein zu sein? Sie sind in der ganzen langen Zeit allein auf der Straße unterwegs gewesen. Das ist doch nicht ganz in Ordnung …«
    »Lassen Sie mich die Verantwortung für mögliche Stilbrüche übernehmen«, erwiderte er. »Sie bekommen ein Doppelzimmer für sich allein.«
     
    Im Zimmer stellte er sich vor den Spiegel und betrachtete lange sein Gesicht. Ob sie findet, dass ich lächerlich bin? Spürt sie die richtigen Inhalte der Worte? Ahnt sie, wie ich leide? Weiß sie, wie ein Mensch wird, der sein Leben im Zufall lebt?
    Widerwillig dachte er noch einmal an seinen Heimatort. Er ging zum Fenster und öffnete es. Aus der Ferne klang es wie Musik herüber, vom Ort seiner Jugend. Ob der Festplatz immer noch benutzt wird? Dann musste es aber der letzte Abend der Saison sein.
    Er schaute sich im Zimmer um und er sah nichts, das er nicht wiedererkannte. Es sind unterschiedliche Zimmer, aber sie sehen gleich aus und deshalb kann ich sie mein Zuhause, nennen. Sie sind alle zusammen mein Zuhause, auf dieselbe Weise, wie alle Straßen zu einer einzigen zusammenlaufen, die ich die meine nennen kann.
    Er drehte den Heißwasserhahn an der Badewanne auf und saß lange in der Hocke, mit dem Wasser bis zu den Hüften, und wartete darauf, dass es abkühlte.
    Er zog sich das letzte saubere weiße Hemd an, das er im Koffer hatte, doch den Schlips ließ er über dem Stuhl hängen.
     
    Sie wartete an der Bar. Sie sah aus wie eine Tochter.
    »Ich bin gerade erst gekommen«, sagte sie.
    »Möchten Sie etwas trinken?«
    »Und ob ich will!«
    Er bestellte zwei Bier vom Fass und sie nahmen die Gläser mit zu dem Tisch, den er beim Einchecken reserviert hatte. Der frühe Abend war immer noch warm und die Terrasse war voller Gäste. Sie saßen an der kurzen Seite, die zum Platz und zu den Parkmöglichkeiten wies. Da die Küche bald schließen würde, bestellten sie ihr Essen rasch. Es duftete nach den Blumen, die in Körben von der Terrasse herunterhingen.
    Seine Hand lag auf dem Tisch vor ihm und sie legte ihre Hand darauf, für einen kurzen Augenblick. Er schaute zu seinem Auto hinüber, das in den Schatten des Platzes unter einem Baum stand. Er trank und dachte an nichts mehr, was mit seiner Arbeit zu tun hatte.
     
    Mitten auf der Brücke stellte mein Vater das Auto ab und ging davon. Meine Mutter hatte keinen Führerschein. Die Autos hinter uns konnten nicht überholen, denn die Brücke hatte nur zwei Spuren und der Gegenverkehr war dicht. Der Mann hinter uns hatte ein paar Minuten lang gehupt, jetzt stieg er aus und kam zu unserem Wagen.
    Zunächst konnte ich meinen Vater noch sehen, doch nach einer Weile verschwand er hinter den entgegenkommenden Autos. Meine Mutter hatte darauf gewartet, dass er nach ein paar Schritten umkehren würde, aber das tat er nicht. Er wandte sich nicht einmal um. Die Sonne stand tief, sie brannte wie eine Wunde im Gesicht.
    »Wenn er nur nicht runterspringt«, sagte meine Mutter.
    Der Mann, der zu uns gekommen war, erbot sich, das Auto über die Brücke zu fahren und auf dem großen Parkplatz abzustellen, der auf der anderen Seite lag. Ich konnte sehen, wie sich die Wimpel im heißen Wind bewegten.
    »Ist es so gut?«, fragte er und meine Mutter nickte.
    Sie drehte sich um und hielt nach meinem Vater Ausschau. Wahrscheinlich hoffte sie, dass er gleich zwischen den anderen geparkten Autos auftauchen würde. Das war schon einmal so gewesen.
    Sie stieg aus dem Auto.
    »Warte hier, Karl«, sagte sie und ging in die Cafeteria.
    Ich empfand eine große Verzweiflung, eine Einsamkeit, die nichts damit zu tun hatte, dass ich allein dort im Auto saß.

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