Der letzte Abend der Saison
Er schaute auf und sah geradeaus. Es ist, als würden sich die Menschen schämen, dass sie unterwegs sind. Sie sind nur vorübergehend weg, sie sind nicht zu Hause und nicht bei jemand anders, sondern im Niemandsland des Reisenden, das ohne Worte auskommt und meist aus Überdruss und Warten besteht.
Draußen brach der Himmel auf und plötzlich war überall Licht. Es war, als würde alles viel deutlicher werden, wenn er die Motoren draußen nicht mehr hören konnte.
Sie hatte zwei oder drei Tische von ihm entfernt gesessen und jetzt stand sie an der Ausfahrt. Er erkannte sie sofort wieder. Sein Leben bestand aus Straßen und Gesichtern. Sie hob die Hand und machte eine Bewegung mit dem Daumen. Er hielt an und blendete auf. Sie ging zum Auto, er beugte sich über den Beifahrersitz und öffnete die rechte Vordertür.
Er war zehn Kilometer weit gefahren, sie hatte nichts gesagt und er fand das angenehm. Sie ist sehr jung, dachte er. Man sieht nicht mehr viele Anhalter auf den Straßen. Das kann gefährlich sein. Heute noch mehr als früher.
»Man sieht nicht mehr viele Anhalter«, sagte er.
Sie antwortete nicht, doch er sah, dass sie nickte.
»Fahren Sie oft per Anhalter?«
»Wenn ich kein Geld habe.«
»Es liegt wahrscheinlich an den Schnellstraßen.«
»Was?«
»An den Schnellstraßen um die Städte herum. Es ist schwer, an den Auffahrten mitgenommen zu werden.«
»Ich bin noch nicht so oft per Anhalter gefahren.«
»Reisen sie viel?«
»Was?«
»Die jungen Leute reisen heutzutage doch ziemlich viel, oder?«
»Ich würde gern mehr verreisen«, sagte sie.
»On the road«, sagte er.
Sie antwortete nicht. Sie findet, dass ich ein alter Knacker bin, und sie hat vollkommen Recht, dachte er.
Sie fuhren durch die Außenbezirke einer Stadt, wo die Häuser geschützt von der Straße lagen. Sie waren gebaut worden, ehe die Umgehungsstraße angelegt worden war, aber die Stadtplaner hatten Rücksicht auf die Menschen genommen. Ich habe schon anderes gesehen. Es gab Häuser, die von Asphaltkochern umringt wurden, als ob eine mittelalterliche Gesellschaft um die Häuser herum ihr Lager aufgeschlagen hätte. Ich habe die Entwicklung gesehen und ich gehöre zu denen, die am meisten Schuld daran haben.
Als er langsamer fuhr, hatte sie das Fenster heruntergekurbelt und der Wind spielte mit ihrem Haar. Der Wind war warm, sogar bei siebzig Stundenkilometern.
»Was machen Sie?«, fragte sie plötzlich.
Er fühlte sich von der Frage ein wenig überrumpelt.
»Was arbeiten Sie?«
»Ich reise und verkaufe«, sagte er.
»Sie reisen und verkaufen«, wiederholte sie.
»Ja. Ein Handlungsreisender, wie man so sagt.«
»Ich dachte, das gäbe es gar nicht mehr.«
»Ich bin einer der letzten.«
Sie sagte nichts.
»Tatsache ist, dass das hier meine letzte Woche ist.«
»Oh«, sagte sie.
»Last leg of journey.«
»Haben Sie in England oder Amerika oder so gearbeitet?«
»Nein.«
»Es ist schon das zweite Mal, dass Sie etwas auf Englisch sagen.«
»Ich verkaufe englische Bücher«, sagte er. »Nicht nur englische Bücher, aber vor allem englische, außerdem Lexika und wissenschaftliche Werke. Ich bin jetzt seit fünfundvierzig Jahren Vertreter für Bücher.«
»Und das hier ist Ihre letzte Woche? Wie fühlt sich das an?«
»Ich weiß nicht.«
»Was werden Sie danach machen?«
»Ich weiß es wirklich nicht«, sagte er. »Vielleicht werde ich diese verdammten Bücher, die ich versucht habe, an die bildungshungrige Allgemeinheit zu verkaufen, mal lesen.«
Sie lachte.
Er fuhr eigentlich immer ein wenig schneller, als erlaubt war, aber jetzt nicht. Er musste auf die rechte Spur fahren, um die vorbeizulassen, die so fuhren, wie er es sonst zu tun pflegte. Er war es nicht gewohnt, zu fahren und gleichzeitig zu reden. Ich habe verdammt noch mal noch nie einen Anhalter mitgenommen. Fünfundvierzig Jahre on the road und nie einen Anhalter mitgenommen.
Die Straße wand sich wieder gen Westen und die Sonne stach ihm in die Augen. Er griff nach der Sonnenbrille. Im Gegenlicht wurde die Straße ein Teil der Landschaft.
»Es sind die Straßen, die ich vermissen werde«, sagte er. »Den Kontakt mit den Kunden werde ich nicht vermissen.«
»Nein.«
»Ich rede hier nicht nur von der Oberfläche der Straße, auch wenn die natürlich wichtig ist. Aber es ist alles, was dazu gehört«, sagte er. »Wenn man lange genug auf der Straße war, wenn man so lange Vertreter war wie ich, dann macht es einen kribbelig, wenn sich ein
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