Der letzte Aufstand
blonde Lea mit den grünlichen Augen Jean in seiner Triebhaftigkeit hatte ansprechen können, da war Takashi total anders gestrickt. Jean hatte ein grobes Strickmuster, irgendwie berechenbar. Takashi war vielmehr ein Mosaik von verschiedensten Strickmustern. Lea musste strategischer vorgehen, als es ihr selbst wirklich recht war. Doch genau für diese Umstände war sie ausgebildet worden. Ob sie es moralisch fand, oder nicht.
Für Takashi hatte sie eine besondere Frage bereit, die sie zu beantworten gedachte: Wie genau wurde ein gut verdienender Manager mit einem MBA und hohen moralischen Idealen, ein Sammler von Grüntee, ein ehrenamtlicher Kassier eines Vereins für Karate ... zu einem Terroristen, der die Reichen bestrafen wollte? Hatte er ausgeblendet, dass er selbst zu den oberen zwanzig Prozent gehörte? Wie schnell hatte sich die abstruse todbringende Überzeugung in ihm ausgebreitet? Warum?
Takashi war daran die Schachpartie zu gewinnen. Das war Lea egal und für den Verlauf des Gesprächs von Vorteil, gab es ihm doch Machtgefühle und Überlegenheits-Vorstellungen, die zeitgleich seine psychischen Schutzschilde herunterfahren würden. Jemand, der überlegen war, musste nicht unbedingt auf der Hut sein.
„Wie lange sammelst du schon Grüntee?“, fragte sie, nachdem sie ihm einen seiner Bauern vom Feld verbannt hatte.
„Das hat schon mein Vater getan, bin sozusagen in die Sache hinein gewachsen ...“
Takashi positionierte seinen Turm weit voran in Leas Bretthälfte.
„Und wie viele verschiedene Sorten hast du schon?“
„Etwa dreihundert. Die Packungen, welche ich aufgebraucht habe und die nicht wirklich aussergewöhnlich sind, ersetze ich nicht mehr. Seit etwa drei Jahren bleibt die Zahl deswegen dort stehen. Ich ersetze sie mit neuen Sorten, was aber nicht immer einfach ist, weil sie nicht alle international vertrieben werden.“
In spätestens sechs Zügen würde sie Schachmatt sein, registrierte Lea. Sie versuchte die Niederlage mit einem Gegenangriff heraus zu zögern.
„Ich trinke auch schon seit Jahren Grüntee und verstehe nicht, wie gewisse Leute die Unterschiede nicht schmecken können. Ist dir das auch schon aufgefallen, dass manche Menschen einen guten nicht von einem durchschnittlichen Tee unterscheiden können ...?“
Takashi lächelte. „Da hatte ich schon etliches Mal fast Streit mit meinen Freunden, wenn es um dieses Thema geht!“
„Na, dann bin ich ja nicht die Einzige!“
„Dann haben wir ja doch eine Sache, die wir ähnlich sehen ...“
Lea schaute ihn geheimnisvoll an, als müsse sie einen spontanen Impuls unterdrücken. „Vielleicht gibt es ja noch einige andere Dinge, wo wir die gleiche Meinung teilen, wer weiss?“
Takashis nächster Zug brachte ihre Schachfiguren weiter in Bedrängnis. Sie begutachtete die Situation. In spätestens zwei Zügen war sie schachmatt. Lea nahm ihren König hoch und legte ihn flach auf das Spielbrett.
„Du gibst auf?“
„Man muss wissen, wann eine Schlacht verloren ist. Diese hier gewinne ich nicht mehr. Revanche?“
Der Japaner zog seine Augenbrauen in orientalischer Manier einen halben Zentimeter hoch. „Du willst eine zweite Chance?“
„Haben wir die nicht alle verdient?“
„Ich glaube nicht. Manche ja, aber nicht alle. Ich gebe dir die Revanche, du sollst dich rächen dürfen. Oder es zumindest versuchen dürfen ...“
Er ordnete seine Figuren wieder in die Anfangsaufstellung zu.
„Ich weiss, was du meinst.“, bestätigte Lea, als sie ihm half, die Figuren wieder aufzustellen.
Die Partie begann von vorne. Lea schwieg. Sie hatte das Terrain ausgebreitet, jetzt musste sie es wirken lassen. Es war eine psychologische Taktik, die fast immer funktionierte, wenn jemand ein Geheimnis nicht preisgeben will: Man schlägt sich zwischen den Zeilen auf die selbe Seite des Gegenübers, aber nur andeutungsweise. Und dann lässt man die Stille zu, damit die Hoffnung, einen Gleichgesinnten gefunden zu haben, spriessen kann: das Terrain ausbreiten.
Diesmal gab Lea sich mehr Mühe eine würdige Gegnerin zu sein. Sie liess die homöopathische Dosis von Anerkennung im Schweigen wirken, deshalb konnte sie sich auf das Spiel fokussieren. Takashis Psyche tat den Rest, stellte die Brücken zwischen den Informationsfragmenten her, ob er es wollte oder nicht. Ich weiss, was du meinst. Ich verstehe dich. Ich anerkenne dich. Diese Gedanken waren die Wegbereiter des Terrains, die kleinsten Mengen an Information, die immer eine gewisse
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