Der letzte Aufstand
Hoffnung entstehen liessen. Vor allem wenn sie nebensächlich erwähnt wurden.
Lea liess gute zehn Minuten verziehen, bevor sie wieder etwas sagte. „Seit wann hast du es gewusst?“
Takashi hatte soeben seinen Läufer hoch gehoben; er setzte zu einem Angriff auf ihre Dame an. Ohne sie anzublicken setzte er die Figur auf das Brett und antwortete: „Seit fünf Wochen.“
„Alles auf einmal? Wie eine Einsicht? Oder sich langsam verbreitend und verdichtend?“
Jetzt blickte er sie an. Verstand sie wirklich? In einem Bruchteil einer Sekunde gingen ihm alle Gemeinsamkeiten, die er mit ihr hatte, durch den Kopf. Grüntee. Intelligenz. Sie verstand ihn.
Lea spürte, wie er sie analysierte. Sie hielt ihren Blick strikte auf das Spielbrett gerichtet und machte mit ihrem nächsten Zug bewusst einen Fehler. Takashi sollte sich überlegen fühlen. Sie sollte keine Bedrohung sein. Er schnappte sich ihren Turm, den sie falsch platziert hatte.
„Wie eine grosse Ohrfeige, nach der du plötzlich alles verstehst und die einzige Lösung klar vor dir siehst.“
„Das muss sehr befreiend sein, wenn die Dämme der Kurzsichtigkeit plötzlich brechen ...“
„Als stünde man in einem Waldbrand von Licht, das alles erhellt und Trost spendet.“
Lea wiederholte die Worte. „Trost spendet!“ Sie sagte es nicht fragend, sondern bestätigend.
„Es ist tröstlich ein Teil der Lösung zu sein!“
„Das glaube ich sofort. Wo warst du, als es anfing?“
Sie betrachtete ihn, sah, wie eine losgelöste Freude sich auf seinem Gesicht breit machte. Die Erinnerung schien ihn zu dem Moment zu transportieren.
„Ich war in einem Bistro an der Rue Balzac. Ich hatte mir gerade einen Grüntee bestellt. Keinen besonderen, billige Marke, aber besser als nichts. Ich ging von der Theke zu einem Bistro-Tischchen, und als ich mich setzte, war es klar. Eine Sonne war aufgegangen. Alles machte Sinn.“
Lea überprüfte mit einem Griff in ihre hintere Hosentasche, ob der Schalter ihres Recorders wirklich in der Aufnahme-Position war. Alles okay. Kahil würde das Gespräch abends anhören können. Takashi war wie in Trance. Die Erinnerung an den Moment, an sein Projekt und den Sinn, den es ihm in seinem Leben spendete, hatten ihn verklärt.
Lea schnappte ihm einen Bauern weg und legte ihn neben das Spielbrett.
„Und dann sind wir gekommen und haben den Plan über den Haufen geworfen ...“
☸
New York, 197 Tage bis „Tag X“
Pete versuchte in das Zimmer zu stürmen. Er sah verschmiertes Blut auf dem Parkettboden.
„Liv, bist du da?“, rief er verzweifelt.
Was hatten die Spinner Livia angetan?
Tam hinderte ihn mit kräftigen Armen daran ins Zimmer hinein zu gehen. Er hielt ihn an den Schultern fest, wie man ein kleines Kind festhält, um es zu Vernunft zu bringen.
„Was hast du mit ihr gemacht? Wo ist meine Freundin?“, schrie Pete den Mann an.
„Es ist vorbei. Du kannst ihr nicht mehr helfen!“, sagte Tam. Seine Stimme hatte einen aggressiven Unterton.
Henk, der mit Terry hinter Pete stand, schob sich an Tam vorbei und schritt in das dunkle Zimmer. Tam machte anstandslos Platz. Das Licht wurde angeschaltet. Jetzt war die Blutspur umso deutlicher zu sehen. Der Boden, das Bett, ja selbst die Wände waren rot beschmiert. Pete spürte einen Schwall schwarzer Wut, der in ihm hoch kroch. Seine Hände gingen Tam instinktiv an die Gurgel. Er umklammerte ihn am Hals und drückte zu. „Was hast du Schweinehund mit Liv gemacht?“
Die Wut verlieh ihm Kraft, die er normalerweise nicht hatte. Tam ging zu Boden. Er röchelte. Dann spürte Pete die Eisenspitze in seinem Rücken.
„Lass ihn los!“, kam der Befehl von Terry hinter ihm.
Scheisstypen. Scheiss-Eisenteil, dachte Pete. Er gab dem Mann einen letzten Stoss, so dass er nach hinten fiel. Der Weg in das Zimmer war jetzt frei. Zwei Schritte an dem liegenden Tam vorbei und Pete war im Zimmer. Von Liv fehlte jede Spur.
Das Bett machte einen chaotischen Eindruck. Die Laken waren unordentlich halb auf dem Bett, halb auf dem Boden. Die Matratze war verschoben und ragte um einen Viertel vom Bettgestell herunter.
„Was ist passiert?“, fragte Henk.
Pete hörte einen Unterton von Verblüffung in dieser Frage. Gott sei Dank war er nicht der Einzige, der nicht verstand, was hier vorgefallen war.
Tam erhob sich mit einem hasserfüllten Blick zu Pete. Henk schaute ihm dabei zu. „Sprich, Leibgardist!“, fuhr er ihn an.
Tam verneigte sich. „Ich musste sie bestrafen. Sie
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