Der letzte Aufstand
mit gesenktem Blick auf, verneigte sich und verliess das Gemach.
☸
Paris, 9 Tage nach „Tag X“
Kahil wachte um sechs Uhr auf. Er und Lea hatten am Abend zuvor drei weitere Stunden des Security-Film-Materials gesichtet und waren dann erschöpft zu Bett gegangen. Es war entmutigend gewesen. Man starrte stundenlang auf einen Bildschirm und sah Leute in dem Bistro ein- und ausgehen, aber nichts, absolut nichts, war in irgendeiner Weise auffällig gewesen. Es gab keinen Giftmischer, der den Kunden irgendein komisches Gebräu ins Glas mischte, wenn sie kurz wegschauten. Im Gegenteil, die Kunden sassen abgeschottet über ihrem Getränk - bei Takashi war es typischerweise ein Grüntee gewesen - und hatten null Kontakt mit irgendjemandem.
Kahil zog sich frische Kleider an, während er innerlich die Bilder des Films an sich vorbei ziehen liess. Was hatten sie nicht bemerkt? Was zogen sie nicht in Betracht? Er zog den Reissverschluss seiner Strickjacke hoch. Blieb nur die Hoffnung, dass Yeva und Guillaume im letzten Segment des Materials noch etwas entdeckt hatten. Sie hatten die letzten drei Stunden gestern Abend - nein, heute Morgen - analysiert, waren wohl erst so gegen ein Uhr morgens ins Bett gegangen.
Kahil putzte sich die Zähne und begab sich dann in das kleine Konferenzzimmer, wo sie sich um halb sieben treffen wollten, um die Resultate zu besprechen.
Lea sass bereits mit einer Tasse dampfenden Kaffees dort. Ihr lockiges Haar war wie immer ungekämmt, weil es sich einfach nicht zähmen liess. Ihre Füsse hatte sie auf dem Nachbarstuhl; die Sache sah mehr als gemütlich aus. Kahil blieb kurz in der Türe stehen.
„Guten Morgen ...“, sagte Lea und warf ihm ihr bezauberndes Lächeln zu. Ihre grünen Augen funkelten frech. Kahil spürte den Ansatz einer Bewegung in seinen Beinen. Sie trieben ihn zu Lea rüber zu gehen. Ohne gross zu überlegen, ging er die drei Schritte zu Lea hinüber und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Gewisse Dinge sollte man nicht unterdrücken.
Lea schaute ihn erstaunt an. „Womit hab ich das verdient?“
„Ein Ausdruck meiner Dankbarkeit, nehme ich an ...“
Er verliess das Zimmer und ging in die Küche, um sich ebenfalls einen Kaffee zu brühen. Kurz darauf kam er zurück zu Lea.
„... aus Dankbarkeit?“, wiederholte sie seine letzten Worte.
Kahil dachte kurz nach. Wie anders sollte er es erklären? Dann nickte er. „Ja.“
Lea stellte ihre Tasse hin, stand auf, ging auf Zehenspitzen, als wolle sie leise sein, zu Kahil und nahm sein unrasiertes Gesicht in ihre Hände. Dann küsste sie ihn zurück.
„Ich bin auch dankbar.“, sagte sie. Dann tänzelte sie zurück zu ihrem Kaffee.
Mehr musste nicht gesagt werden. Nicht, wenn man Kahil oder Lea hiess. Das Schweigen war immer noch der Grundpfeiler ihrer Beziehung.
Einige Sekunden später trafen Yeva und Guillaume ein.
„Und?“ fragte Lea, kaum hatten sie sich gesetzt.
„Nichts.“, antwortete Yeva. „Kaum zu glauben, aber ganz und gar nichts bis zum Ende.“
Guillaume schob das Glas Wasser, das er mitgebracht hatte, auf der Tischplatte hin und her.
„Gewisse Frames haben wir fünfmal nacheinander angeschaut. In Zeitlupe, mit Zoom vergrössert, auf spezifische Audio-Frequenzen hin gefiltert. Nichts. Ich glaube, wir sind einfach auf einer falschen Spur.“
„Das kann doch nicht sein.“, antwortete Lea. „Die Wahrscheinlichkeit, dass vier Kunden am selben Tag im selben Bistro sind, grenzt doch an‘s Unmögliche.“
„Ich weiss.“, sagte Guillaume. „Und dass sie alle behaupten, sie hätten genau in diesem Bistro den Gedanken zum Anschlag gefasst, macht die Sache noch unwahrscheinlicher. Aber in dem Video-Material gibt es keinerlei Hinweise auf eine Fremdeinwirkung. Vielleicht war es wirklich einfach Zufall?“
Kahil hob seine Hand. „Im Hintergrund lief doch ein Fernseher, nicht wahr?“, sagte er.
Die anderen nickten.
„... vielleicht gab es eine Reportage über Terroranschläge und sie haben alle vier den selben Schluss gezogen. Eine dumme Sendung und alle vier fassen einen dummen Beschluss, beeinflusst von der Glotze?“
„Kann sein, aber dann wäre es immer noch Zufall. Das würde uns keinen Zentimeter voran bringen. Ich meine, was wir doch erhofft haben, ist eine logische Erklärung für das kranke Verhalten der Kunden zu finden. Aber wenn der Fernseher die Erklärung ist, haben wir null Erkenntnisse dazu gewonnen. Zumindest keine, die uns weiterhelfen.“, sagte Yeva.
Lea
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