Der letzte Aufstand
musste, doch nicht mal das klappte. Alles war voller Scheisse. Pete fühlte sich wie ein Schimmelpilz, der in einem vergorenen Saft schmorte und immer schimmliger wurde, je mehr er über seine Situation nachdachte. Das Leben hatte nichts Gutes mehr für ihn bereit und deswegen wollte er Liv einen letzten Gefallen tun und sich dann in den Hudson River werfen. Und zwar mit gefesselten Händen, damit er unterging wie ein Stein.
Liv hatte ihn als den ehrlichen Journalisten gesehen, der die Wahrheit ans Licht brachte. Und genau so - nach diesen Richtlinien - würde er seine letzten Taten auf diesem Planeten strukturieren. Er wollte, dass Liv stolz auf ihn sein konnte, auch wenn sie es in dieser fremden Welt nie herausfinden würde. Vielleicht gab es ja einen Gott, der ihr von seiner letzten Tat berichten würde, und dann würde sie stolz auf ihn sein. Das war jetzt alles, das noch zählte.
Kaum war der Stahlvogel gelandet, machte Pete sich ins Studio auf. Er hatte es zwar nicht eilig, aber er spürte die Energie seines letzten Projektes und wie sie ihn trug. Deshalb nahm er ein Taxi, damit die Gunst der Stunde und ihre Motivation ihn nicht verliessen. Als Journalist war man genau so von der Muse abhängig, wie jeder andere Künstler, und wenn sie einen küsste, musste man die Situation voll ausnützen und keine Zeit verstreichen lassen.
Er gab dem Taxifahrer einen Hunderter als Trinkgeld; selbst hatte er bald keinen Bedarf mehr für all den Zaster. Besessen von seiner Idee steuerte er an Larry vorbei wie ein ferngesteuertes Auto, das nur kurz zur Begrüssung blinkte. Er warf ihm ein kurzes Guten Morgen zu und war dann bereits im Aufzug, der ihn in die Redaktion hoch brachte.
m Büro angekommen trommelte er eine Crew von vier Leuten zusammen: einen Nachrichtensprecher, eine Visagistin, einen Kameramann und einen Audiotechniker. Er liess sie in seinem Büro Platz nehmen, dann holte er ein wenig aus.
„Leute, ich bin zurück. Ich war mehrere Monate Undercover und hab versucht mehr über Oliver Palms und sein Projekt herauszufinden. Und das ist mir - sagen wir mal - sehr gut gelungen. Wir machen heute eine Spezialsendung, die wir jede Stunde einmal fünf Minuten lang aussenden.“
Der Kameramann klatschte in die Hände. „Gut, bist du zurück, Pete! Dein Stellvertreter war nicht gerade eine Leuchte ...“
„Kann ich mir vorstellen! Leute, heute bringen wir unseren Sender zum Leuchten, wie er schon lange nicht mehr geleuchtet hat. Wir werden in die Geschichte eingehen, vielleicht sogar einen Pulitzer Preis abräumen.“
Pete wendete bewusst die magischen Worte Pulitzer Preis an; es gab fast keinen Reporter oder Medienexperten, der für genau diesen Preis nicht sein letztes Hemd verkaufen würde.
„Lydia, du machst mich kameratauglich, Björn und Ernesto, ihr macht Studio drei bereit, und du Bill bereitest ein fünfminütiges Interview über Palms und seine Strategie vor. Ich beantworte die Fragen spontan; kein Probelauf, und wir gehen sofort Live. Fragen?“
„Endlich wieder mal etwas frischer Wind. Wir haben dich vermisst, Pete!“ Will klopfte Pete auf den Rücken und zwinkerte ihm zu.
„Wo ist Liv? War sie mit dir Undercover?“, fragte der Nachrichtensprecher bevor er das Büro wieder verliess.
„ ... ist sie immer noch.“, antwortete Pete kurz.
Kaum war er alleine, steckte er den Stick in den USB-Port und übertrug die Videodatei auf seinen Rechner.
Eine Stunde bevor Pete am Flughafen Charles de Gaulle hatte einchecken müssen, hatte er der einen Adresse dort noch einen Besuch abgestattet, damit er ein wenig Bildmaterial mit ins Studio bringen konnte. Mit seinem I-Phone hatte er unauffällig den Eingang des Gefängnis gefilmt und dann noch einige Aufnahmen der Umhagung mit dem Stacheldraht gemacht.
Er öffnete das Video in einem Bildbearbeitungsprogramm und stutze es zurecht: machte es hier ein wenig heller und dort ein wenig satter und konturierter. Dann sandte er es an die Email-Adresse seines Kameramanns.
☸
Taaah, 195 Tage bis „Tag X“
Livia war noch einmal eingeschlafen. Das Licht, das auf ihren nackten Körper fiel, schien direkt ihre Seele zu berühren, aber nicht nur zu berühren, sondern auch zu heilen. Sie hatte die Wirkung vielleicht zwei Minuten aufmerksam mitverfolgt, doch dann war sie weggedrifted. Erst jetzt, als die Frau das Zimmer wieder betrat, wachte sie wieder auf und spürte sofort, dass es ihr unendlich viel besser ging. Wo vor einer Stunde nur Schmerz
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