DER LETZTE BESUCHER
Waschzeug und ein paar frische Sachen zum Wechseln z u sammen und machten sich auf den Weg nach Frankfurt. Es war herrlich warm draußen. Das Wochenende ve r sprach schön zu werden. Helen freute sich auf Frankfurt und stellte erstaunt fest, wie sehr sie trotz allem an der Stadt hing. Vielleicht bot sich ja morgen Nachmittag die G e legenheit zu eine m schönen Spaziergang am Fluss entlang zur Gerbe r mühle oder zu eine m Bummel du rch die Fre ß gass.
Beate fuhr zügig, denn sie hatte am späten Vormittag einen Termin beim Steinmetz vereinbart und direkt danach einen in der Friedhofsgärtnerei. Beides lag in u n mittelbarer Nähe des Südfriedhofs, sodass sie a n schließend noch an Sabines Grab nach dem Rechten sehen konnte. Währenddessen wollte Helen zu Hause in der Mendelssohnstraße ihre wenigen persönlichen Habseli g keiten z u sammenpacken und vorerst in Sabines Wohnung in die Schwanthaler Straße schaffen . Viel war es nicht, denn bei ihrer Hochzeit hatte Daniel darauf b e standen, alles neu zu kaufen, Wäsche, Geschirr, Gläser und Bestecke, die Möbel sowieso, denn – so hatte er pathetisch verkündet – in ihrem g e meinsamen neuen Leben sei kein Platz für alten Plunder.
Helen war ein bisschen traurig gewesen , hatte sich aber gefügt wie immer . Allerdings hatte sie sich hartnäckig g e weigert, ihr geliebtes französisches Kaffe e geschirr, das sie bei einem Urlaub in Limoges erstanden hatte , und den kleinen Biedermeiersekretär, ein Erbstück ihrer früh ve r storbenen Patentante , wegzugeben. Beides kam deshalb auf den Dac h boden , aber alles andere wurde verkauft, ve r schenkt oder entsorgt bis auf eine große mit blauem Samt ausgeschlagene Lede r schatulle, in der Helens Mutter die Silberbestecke für die Aussteuer ihrer einzigen Tochter liebevoll Stück für Stück gesammelt hatte.
Vor diesem Schatz hatte selbst Daniel kapituliert und g e noss es, damit vor Gästen anzugeben, wenn Helen den Tisch wieder einmal festlich gedeckt hatte. Das war am Anfang ihrer Ehe g e wesen , als sie noch in Hamburg wohnten . Später in Frankfurt , nach Helens Fehlgeburt, hatten sie dann völlig isoliert gelebt und so gut wie nie mehr B e such gehabt. Daniel wollte es so, und Helen hatte nicht gewagt , sich zu wide r setzen.
Beate kam gut voran. Der morgendliche Berufsverkehr war schon vorbei, und die ersten Wochenen d heimfahrer kamen ihnen auf der Gegenfahrbahn en t gegen. Kurz nach der Auffahrt auf die A5 am Dar m städter Kreuz wechselte Beate zurück auf die mittlere Spur und bremste ziemlich a b rupt ab. Sie grinste, als sie von einem silberfarbenen Porsche mit Stuttgarter Nummernschild laut hupend ü be r holt wurde:
„Es gibt tatsächlich immer noch Leute, die nicht wissen, dass hier unter der Autobahnbrücke seit Jahren regelmäßig geblitzt wird.“
Und tatsächlich konnten sie kurz darauf sehen, wie der Porschefahrer vor ihnen mit voller Kraft in die Eisen stieg . L eider zu spät!
„Das wird teuer“ , meinte Helen amüsiert und lachte.
Beate musterte die Freundin aus den Augenwinkeln. Ihre Veränderung war nicht zu übersehen. Nicht einmal zwei Wochen hatten genügt, um sie sichtlich aufblühen zu lassen . Für die äußere Verwandlung hatte Beate gleich zu Anfang g e sorgt, hatte sie in Heidelberg erst einmal zu ihrem eigenen Friseur geschleppt und danach mit ihr einen Streifzug durch ein paar Boutiquen in der Heidelberger Innenstadt unte r nommen. Aber Helen hatte inzwischen auch eine innere Wandlung durchgemacht, und die sah man ihr bereits deu t lich an. Sie wirkte viel gelöst er und wie von einer Last b e freit , konnte wieder lachen und sich über Kleinigkeiten freuen wie ein Kind . Wo war die Helen g e blieben, die noch vor wenigen Tagen abends völlig ve r ängstigt an der Tür in der Schwanthaler Straße geläutet hatte ; die nichts bei sich hatte als eine kleine Reis e tasche und ihre Handtasche , in de r sich neben ihrer Gel d börse mit etwas Kleingeld und ihrem Reisepass nur ein paar Tempotaschentücher , ein Kamm , ihr Hausschlüssel und eine Tüte mit Hustenbonbons b e fanden?
Beate wurde von Tag zu Tag klarer, dass Helen im Grunde ein sehr fröhlicher und u n komplizierter Mensch war. In ihrem G e sicht konnte man lesen wie in einem offenen Buch : Freude, Trauri g keit, Schmerz, Hoffnung , Angst , alle Regungen spiegelte n sich in den klaren offenen Zügen der jungen Frau wider.
Wie sie da neben ihr saß mit der neuen schicken Kur z haarfrisur und den neuen Jeans
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