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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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hätte. Ich fragte ihn also: >Dad, glaubst du, die Frau ist verrückt?<, und er sah mich nur an und sagte: >Nat, man weiß im Leben nie, was passieren kann, wozu Menschen fähig sind.< Und frag mich nicht wieso, aber ich wusste genau, dass er in dem Moment über die Sache sprach, die ihm ein paar Jahre vorher passiert war.«
    »Er hat nicht gemeint, dass er ein Mörder ist.«
    »Ich weiß nicht, was er gemeint hat. Es war ziemlich eigenartig. Es war, als wollte er mich vor irgendwas warnen.«
    Wir halten vor der Nearing Bridge, wo aus drei Spuren zwei werden und der Verkehr jeden Abend zur Stoßzeit ins Stocken gerät. Vor Jahren hatte ich mal einen Freund, der behauptete, die Relativitätstheorie verstanden zu haben, und der sagte, dass jedes Lebewesen unaufhörlich Bilder abwirft. Und wenn wir es je schaffen würden, schneller als das Licht zu sein, könnten wir die Zeit zurücklaufen lassen und jeden Moment in der Vergangenheit betrachten, als würden wir uns einen dreidimensionalen Stummfilm anschauen. Ich frage mich oft, wie viel ich dafür geben würde, nur um mir anschauen zu können, was sich in den sechsunddreißig Stunden, nachdem Anna und ich uns verabschiedet hatten, im Haus meiner Eltern abspielte. Dann und wann versuche ich, es mir vorzustellen, doch das Einzige, was vor meinem geistigen Auge auftaucht, ist seine Gestalt, die auf dem Bett sitzt.
    »Sandy hält meinen Dad immer noch für unschuldig«, sage ich jetzt zu Anna.
    »Das ist gut. Woher weißt du das?«
    »Ich hab ihn gefragt. Wir haben über meine Aussage gesprochen, und ich hab gefragt, was er denkt. Aber was soll man dem Sohn eines Mandanten auch sonst sagen?«
    »Man würde es ihm nicht sagen, wenn man es nicht glaubt«, sagt sie. »Man sülzt ein bisschen rum und umgeht die Frage.« Anna ist erst seit gut zwei Jahren praktizierende Anwältin, aber ich betrachte sie als absolute Autorität in diesen Dingen. »Es muss dir doch etwas bedeuten, dass die Menschen, die die Beweislage am besten kennen, an deinen Vater glauben.«
    Ich zucke die Achseln. »Sandy denkt dasselbe wie du über die DNS aus dem ersten Prozess.« Ich habe inzwischen erfahren, dass Ray Horgan, der damals Single war, eine Affäre mit der getöteten Frau hatte. Er muss also logischerweise ein Verdächtiger sein, falls mein Dad es nicht getan hat, erst recht, wenn man bedenkt, dass er sich damals gegen meinen Vater wendete und für Molto aussagte. Aber das hätte meinem Dad doch klar gewesen sein müssen. Stattdessen hat er sich mit Ray versöhnt, der sich seitdem zur Wiedergutmachung förmlich für ihn überschlägt.
    Aber das alles behalte ich für mich. Es ist nie gut, wenn ich Ray erwähne oder das, was zwischen Anna und ihm war. Hin und wieder kommt mir der Gedanke, dass mein Dad seine Affäre in derselben Zeit hatte. Zusammen mit dem ganzen anderen unausgegorenen Zeug, das mir so durch den Kopf spukt, hat mich diese zeitliche Übereinstimmung tatsächlich schon ein paarmal stutzig gemacht, ob ich nicht falschgelegen habe und Anna in Wahrheit was mit meinem Vater hatte, doch dann komme ich irgendwie wieder zur Besinnung und begreife, dass Anna und ich dann nicht zusammen wären und über diese Brücke oder sonst wohin fahren würden. Stattdessen versuche ich einfach nur zu verstehen, was mit Männern in mittleren Jahren vor sich geht. Anscheinend beginnt bei ihnen das Gehirn genauso zu schwächeln wie der Rücken und die Prostata.
    »Danke, dass du das machst«, sage ich zu Anna, als wir vor der Haustür meiner Eltern stehen.
    Statt zu antworten, umarmt sie mich kurz. Sie ist schon mehrmals mit mir hier gewesen. Es macht mich völlig fertig, hier zu sein - am Tatort des angeblichen Verbrechens, wo die Wände die Wahrheit wissen. Die Jalousien sind zum Schutz gegen neugierige Kameras heruntergelassen, und sobald wir im Haus sind, riecht die Luft, als wäre vor Stunden hier etwas gebraten worden.
    Für Anna und mich ist der Prozess schwer zu ertragen. Eigentlich war in den letzten neun Monaten alles schwer zu ertragen, und manchmal wundere ich mich fast, dass wir noch zusammen sind. Ich versinke regelmäßig in meinem persönlichen Nimmerland und kann oder will manchmal abends einfach nicht reden, und unsere zahllosen Gespräche über meinen Dad und den Prozess führen häufig zum Streit zwischen uns. Sie ist immer schnell bereit, ihn zu verteidigen, was mich manchmal richtig sauer auf sie macht.
    Und dann sind da noch die normalen Erschwernisse des Lebens. In ihrer

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