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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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Kanzlei ist immer noch relativ wenig los, aber für die Arbeit, die anfällt, nehmen die Partner sie ständig in Anspruch. Phasenweise kriege ich sie tagelang nicht zu Gesicht und weiß nur deshalb, dass sie überhaupt zu Hause war, weil ich den Abdruck ihres Körpers im Bett sehe oder mich erinnere, irgendwann in der Nacht gegen sie gestoßen zu sein. Aber sie liebt ihre Arbeit und erklärt mir ständig, dass ihr durch mich noch klarer geworden ist, dass sie das tut, was sie tun will. Und man sieht es ihr an. Ich genieße die Augenblicke, wenn ich mich mit ihr treffe und sie früher entdecke als sie mich. Sie schreitet so zielbewusst durch die Straßen der Stadt, so schön und intelligent und selbstsicher.
    Ich dagegen hänge irgendwie noch völlig in der Luft. Ich weiß nie, ob ich am nächsten Tag arbeiten werde. Ich springe immer noch als Vertretungslehrer an der Nearing Highschool ein, aber nicht, solange der Prozess läuft. Außerdem konnte ich es mir leisten, eine Reihe von Entscheidungen hinsichtlich meiner Juristenlaufbahn zu verschieben, weil ich jetzt sehr viel reicher bin, als ich je gedacht habe, denn das Geld, das meine Großeltern Bernstein meiner Mom hinterlassen hatten, ist nach ihrem Tod an mich gefallen.
    Wir gehen die Treppe hinauf und bleiben vor dem Schlafzimmer meiner Eltern stehen, neben der Tür zu dem kleinen Arbeitszimmer, in dem der Computer meines Dads stand, ehe Tommy Molto ihn beschlagnahmen ließ.
    »Das kam heute ziemlich schlecht rüber«, sage ich ihr und deute mit dem Kinn ins Arbeitszimmer. Wie so oft ist das viel zu kryptisch für sie, und ich muss ihr erklären, welche Wirkung die aufgerufenen Webseiten über Phenelzin und die gelöschten E-Mails im Gerichtssaal hatten.
    »Ich dachte, Hans und Franz werden aussagen, dass vielleicht gar keine Mails gelöscht worden sind«, sagt sie.
    Hans und Franz sind unsere Spitznamen für die beiden Computerexperten, die Stern angeheuert hat, um Dr. Gorvetich, dem Experten der Staatsanwaltschaft, zu widersprechen. Hans und Franz stammen aus Polen, sind Ende zwanzig, der eine groß, der andere klein, und haben beide einen Igelschnitt. Sie sprechen unglaublich schnell, und da sie immer noch einen ziemlich starken Akzent haben, erinnern sie mich manchmal an Zwillinge, die sich als Einzige auf der Welt gegenseitig verstehen können. Sie halten Dr. Gorvetich, ihren ehemaligen Lehrer, für einen diensteifrigen Trottel und haben eine diebische Freude daran, seine Schlussfolgerungen lächerlich zu machen, was offenbar nicht schwer ist. Dennoch, aus ihren beiläufigen Kommentaren entnehme ich, dass Gorvetich wahrscheinlich recht damit hat, dass eine Schredder-Software heruntergeladen wurde, um bestimme Mails zu entfernen.
    Anna schüttelt den Kopf während meiner Erklärungen.
    »Ich glaube keinem Test, der aus Moltos Büro kommt«, sagt sie. »Weißt du, es steht so gut wie fest, dass er im ersten Prozess Beweise manipuliert hat.«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
    Anna lacht. »Eines der wenigen denkwürdigen Dinge, die meine Schwiegermutter je zu mir gesagt hat, war: >Wundere dich nicht, wenn Menschen bleiben, wie sie sind.<«
    Im Schlafzimmer müssen wir lachen, als wir die Krawatten im Schrank meines Dads durchsehen. Er hat bestimmt fünfzig Stück, und alle sehen gleich aus, rot oder blau, dezent gemustert oder gestreift. Die violette Krawatte, um die er gebeten hat, sticht hervor wie Rudolph, das Rentier mit der roten Nase. Ich hole etwas Seidenpapier und eine Tüte von unten, und wir packen die Krawatten auf dem Bett meiner Eltern ein.
    »Soll ich dir mal was richtig Abartiges erzählen?«, frage ich Anna. Eines weiß ich über meine Freundin: Auf so eine Frage würde sie niemals mit Nein antworten. »Als Paloma und ich in der Highschool waren, haben wir es manchmal heimlich bei ihr zu Hause getrieben, wenn ihre Eltern arbeiten waren, und manchmal im Bett von ihren Alten, was sie aus irgendeinem Grund total angeturnt hat.«
    Anna lächelt schwach und schüttelt ein wenig den Kopf. Anscheinend findet sie das gar nicht so abartig.
    »Also heute krieg ich schon zu viel, wenn ich bloß dran denke«, sage ich, »aber, na ja, mit siebzehn will man es praktisch überall machen. Jedenfalls, irgendwann waren wir dann auch mal hier, und sie wollte es auf einmal hier in diesem Bett tun. Das war zu viel. Ich meine, ich konnte nicht. Da ging gar nichts.«
    »Soll das eine Herausforderung sein?«, fragt Anna, tritt nah an mich ran und geht gleich in

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