Der letzte Beweis
ich sagte, dass ich meinem Dad glaube, weil das die Geschworenen nur noch verstärkt darauf hingewiesen hätte, aber ich habe gesehen, wie Molto Brands Handgelenk berührte, als der schon aufspringen wollte. Nach allem, was man hört, war Molto in jungen Jahren ein Hitzkopf, aber anscheinend haben Alter und Verantwortung ihn umsichtiger werden lassen. Er weiß, dass die Geschworenen mich Tag für Tag hier gesehen haben und natürlich wissen, auf wessen Seite ich stehe. Der Typ ist schließlich mein Dad. Wie sollte ich ihm da nicht glauben?
»Und Sie sind zugelassener Anwalt?«
»Das ist richtig.«
»Ihnen ist also klar, was es heißt, unter Eid zu stehen?«
»Selbstverständlich.«
»Nat, als Erstes möchte ich Sie zu dem Fall John Harnason befragen. Haben Sie je mit Ihrer Mutter über den Fall gesprochen?«
»Mit meiner Mom?«
»Ja. Hat sich Ihre Mutter Ihnen gegenüber oder in Ihrem Beisein Ihrem Vater gegenüber je zu dem Fall geäußert?«
Also schildere ich, was am sechzigsten Geburtstag meines Vaters beim Abendessen passierte, als sich herausstellte, dass meine Mom sich über den Fall informiert hatte. Dann kommen wir auf die Einkäufe zu sprechen, die mein Dad an dem Abend, bevor meine Mom starb, nach Hause brachte. Ich erkläre, dass ich seit meiner Kindheit gern Salami und Käse esse, und ja, meine Mom hat wie alle Mütter gern die Sachen zum Essen besorgt, die ich schon immer gemocht hatte, und ja, meine Mom hat immer meinen Dad oder, in früheren Jahren, mich zum Einkaufen geschickt, weil sie nicht gern das Haus verließ und sogar ihre wöchentlichen Lebensmitteleinkäufe online tätigte. Dann erzähle ich den Geschworenen, dass es wahr ist, mein Dad hat immer die Medikamente für meine Mutter abgeholt und sie nach oben gebracht, wenn er sich umziehen ging, und er hat die Fläschchen auch sehr oft in den Arzneischrank geräumt. Klopf, klopf, klopf. Mein Dad sagt immer, dass Sandy so filigran wie ein Goldschmied mit seinem winzigen Hämmerchen arbeitet. Und so ist es auch jetzt. Ich untermauere die Darstellung meines Vaters, Punkt für Punkt.
Alles läuft friedlich, bis wir zu dem Suizidversuch meiner Mutter kommen, als ich zehn war. Die Ankläger veranstalten einen Aufruhr, ehe ich darauf eingehen kann, und die Geschworenen werden aus dem Saal geschickt, was ziemlich lächerlich ist, weil das nur umso mehr erhärtet, was mein Dad gestern sagte. Doch als die Geschworenen zurück sind, komme ich mit meiner Schilderung nicht sehr weit, ehe ich die Fassung verliere. Bis zum heutigen Tag habe ich die Geschichte höchstens vier Menschen auf der Welt erzählt - selbst Anna hat sie erst gestern Nacht erfahren —, und jetzt sitze ich hier, vor Journalisten und Gerichtszeichnern in der vordersten Reihe dieses riesigen Saales, und beichte für die Abendnachrichten, dass meine Mom komplett durchgedreht war.
»Und ich bin ins Badezimmer gegangen«, sage ich, sobald ich meine, mich wieder unter Kontrolle zu haben, und schluchze sofort wieder los.
Ich versuche es noch zwei- oder dreimal, aber ich schaffe es einfach nicht.
»Wollte sie sich durch Stromschlag töten?«, fragt Marta schließlich. Ich nicke bloß.
Daraufhin schaltet Richter Yee sich ein. »Das Protokoll soll festhalten, dass Zeuge die Frage durch Nicken bejaht. Ich denke, wir alle verstanden, Ms Stern«, sagt er, um das Thema abzuschließen. Dann unterbricht er die Verhandlung für zehn Minuten, um mir Gelegenheit zu geben, mich wieder zu beruhigen.
»Es tut mir leid«, sage ich zu ihm und den Geschworenen, ehe sie hinausgehen.
»Entschuldigung nicht nötig«, sagt Richter Yee.
Ich verlasse den Saal, gehe allein zu dem Fenster am Ende des Korridors und blicke nach draußen auf den Highway. Eigentlich ist es mir noch nie leichtgefallen, über meine Mutter zu sprechen. Ich habe meine Mom geliebt, liebe sie auch jetzt noch und werde sie immer lieben. Mein Dad war immer irgendwo da draußen unterwegs, er kam und ging, groß und leuchtend, ein bisschen wie der Mond, aber die Schwerkraft, die mich auf der Erde hielt, war meine Mutter, obwohl es so scheint, als hätte ich mein ganzes Leben mit ihrer Liebe zu kämpfen gehabt. In gewisser Weise wusste ich, dass sie mich zu sehr liebte - dass es nicht gut für mich war, dass damit zu viel einherging -, und folglich versuchte ich ständig, der Last ihrer Liebe und Aufmerksamkeit zu entkommen. Als ich klein war, flüsterte und tuschelte sie dauernd mit mir - ich werde für alle Zeit den Atem ihrer
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