Der letzte Beweis
was das gerade war. Nämlich das deutlichste Eingeständnis, dass Sandy Stern stirbt, das ich bislang gehört habe. Sie starrt in ihre Kaffeetasse.
»Ich hab mich immer noch nicht von meiner Mutter erholt«, sagt sie, »und das ist fast zwanzig Jahre her.«
»Ehrlich? Ich frage mich die ganze Zeit, wann ich mich endlich wieder normal fühle.«
»Es ist einfach eine neue Art von normal«, sagt sie.
Fast jedwede professionelle Distanz, die zwischen Marta und mir herrschen sollte, ist verschwunden. Wir haben einfach zu viel gemeinsam. Wir sind beide Juristen. Mit Müttern, die viel zu früh gestorben sind, und mit Juristen als Vätern, die so übergroß wirken, dass sie die Sonne verdunkeln, aber derzeit beide in Gefahr sind. Wir haben diesen Prozess bislang überstanden, indem wir uns bildlich gesprochen an den Händen hielten, und jetzt lege ich tatsächlich einen Arm um ihre Schultern, als wir zurück in ihr Büro gehen. Sie ist einer der Menschen, bei denen ich mein ganzes Leben lang Rat suchen werde.
Wir gehen rasch meine Aussage durch. Nach gestern ist vieles davon schmerzhaft, aber die Notwendigkeit ist unbestreitbar.
»Was passiert eigentlich mit dem Computer?«, frage ich sie.
»Wir wollen da ein bisschen improvisieren. Das war die Idee von Ihrem Dad. Er sagt, es wäre risikolos. Wir werden sehen. Aber Sie sollen vor den Geschworenen sagen können, dass wir diesen Teil nicht im Voraus erörtert haben. Also folgen Sie einfach meinen Anweisungen. Es ist nichts Kompliziertes.«
Offensichtlich soll demonstriert werden, wie leicht es für meine Mom gewesen wäre, Zugang zu seinem Rechner zu haben.
Bevor wir zum Gericht müssen, gehe ich noch einmal zum Klo, und auf dem Weg dorthin stoße ich fast mit meinem Dad zusammen. Gestern hat er sich von mir ferngehalten, und auch jetzt wissen wir beide nicht so richtig, was wir sagen sollen - wie üblich.
»Es tut mir leid, Nat.«
Meine Mom war klein, daher waren alle, besonders ich selbst, erstaunt, als ich meinen Vater schließlich um etliche Zentimeter überragte. Lange Zeit kam es mir irgendwie absurd vor, dass ich auf ihn hinunterblickte, wenn auch nur ein wenig. Er packt meine Schultern, und ich stolpere irgendwie in eine Umarmung hinein, und dann geht er in seine Richtung und ich in meine.
Als ich das erste Mal in den Zeugenstand musste, war ich völlig fertig. Ich hatte noch nie einen Prozess miterlebt, und auf einmal wurde ich von der Anklagevertretung als erster Zeuge aufgerufen, um gegen meinen Vater auszusagen, der beschuldigt wurde, meine Mutter ermordet zu haben. Ich saß einfach nur in mich zusammengesunken da und antwortete, so schnell ich konnte. Richter Yee ermahnte mich wiederholt, lauter zu sprechen. Als Brand fertig war, stellte Marta mir ein paar Fragen, die verdeutlichen sollten, dass sich mein Dad in einer Art Schockzustand befand, als er mit mir darüber diskutierte, ob er die Polizei anrufen sollte. Dann erklärte sie dem Richter, dass sie alle weiteren Fragen bei meiner zweiten Aussage als Zeuge der Verteidigung stellen würde.
Als ich diesmal die Stufen zu dem Stuhl unter dem Walnussholzbaldachin hinaufsteige, ist es leichter. Ich werde diesen Gerichtssaal bis ans Ende meines Lebens im Traum sehen, aber ich fühle mich hier auf seltsame Weise zu Hause.
»Nennen Sie bitte Ihren vollständigen Namen und buchstabieren Sie Ihren Nachnamen fürs Protokoll.«
»Nathaniel Sabich, S, A, B, I, C, H.«
»Sind Sie derselbe Nathaniel Sabich, der bereits während der Beweiserhebung der Anklagevertretung ausgesagt hat?«
»Genau der.« Eine junge Latina in der ersten Reihe der Geschworenenbank schmunzelt. Offenbar fand sie mich ganz in Ordnung, als ich das erste Mal hier saß.
»Und seit Ihrer ersten Aussage waren Sie an jedem Verhandlungstag hier im Saal, ist das richtig?«
»Ja. Ich bin der einzige Angehörige, den mein Dad hat, und Richter Yee hat mir erlaubt, hier zu sein, um ihn moralisch zu unterstützen.«
»Aber haben Sie mit Ihrem Vater über die Beweislage in diesem Fall gesprochen, oder über Ihre heutige Aussage?«
»Nein. Ich meine, er hat mir gesagt, dass er es nicht getan hat, und ich habe ihm gesagt, dass ich ihm glaube, aber ansonsten, nein, wir reden nicht darüber, was die Zeugen ausgesagt haben oder was ich sagen werde.«
Die letzten Antworten überschreiten die engen Grenzen, die von den Beweisregeln gesetzt werden, und sind mit Marta abgesprochen. Sie hätte sich auch gefreut, wenn Brand Einspruch erhoben hätte, als
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