Der letzte Beweis
Stimme an meinem Hals spüren und meine gesträubten Nackenhärchen. Es sollte nämlich niemand mitbekommen, was sie sagte. Und darin lag eine Botschaft: Nur wir beide. Die Welt, das war nur wir beide. Sie sagte es mir geradeheraus: »Du bist meine Welt, du bist meine ganze Welt, du kleiner Junge.«
Natürlich hörte ich das gern. Aber in den Worten schwang auch etwas Schweres und Dunkles mit. Schon als kleines Kind fühlte ich mich irgendwie verantwortlich für sie. Vielleicht empfinden das alle Kinder so. Keine Ahnung, es gab ja immer nur mich. Aber ich begriff, dass ich ihr nicht nur viel bedeutete. Ich war ihr Rettungsanker. Ich wusste, dass meine Mom sich nur dann richtig gut fühlte, wenn es um mich ging, wenn sie mich versorgte, mit mir sprach, an mich dachte. Nur dann war ihre Welt im Lot.
Im Rückblick finde ich es naheliegend, dass ich später als Teenager die größte Angst davor hatte, was es bedeuten würde, sie zu verlassen. Während ich die Autos über die US 843 gleiten sehe, habe ich plötzlich eine Erkenntnis, der ich bislang ausgewichen bin. Ich gebe meinem Dad die Schuld an ihrem Tod, weil ich mir nicht selbst die Schuld geben will. Doch ich wusste immer, dass so etwas passieren könnte, nachdem ich von zu Hause fortging. Ich wusste es und ging trotzdem. Ich musste gehen. Niemand, am wenigsten meine Mom, wollte, dass ich mein Leben für das ihre aufgab. Dennoch. Mein Dad hat sich wie ein Arschloch verhalten. Aber ich muss auch mir selbst vergeben. Wenn ich das tue, kann ich vielleicht damit anfangen, ihm zu vergeben.
»Kommen wir noch einmal auf den Computer zu sprechen«, sagt Marta, als die Verhandlung weitergeht. Der PC meines Dads ist auf einem Tisch in der Mitte vor der Richterbank aufgestellt worden, und Marta deutet darauf. »Haben Sie Ihren Vater im Laufe der Jahre öfter mal am Computer gesehen?«
»Klar.«
»Wo?«
»Zu Hause. Oder wenn ich ihn im Gericht besucht habe.«
»Wie oft?«
»Zahllose Male.«
»Haben Sie mit ihm über seinen Computer gesprochen?«
»Oft.«
»Haben Sie ihm geholfen, seinen Computer zu benutzen?«
»Natürlich. Für Leute in meinem Alter ist das genauso selbstverständlich, wie es für unsere Eltern selbstverständlich war, uns Fahrradfahren beizubringen. Wir alle helfen unseren Eltern am Computer.«
Die Geschworenen sind erheitert. Ebenso Richter Yee, den ich mehr und mehr in Ordnung finde.
»Und kennt Ihr Vater sich mit Computern aus?«
»Falls Sie darunter verstehen, dass er weiß, wo der Ein- und Ausschalter ist, dann ja. Anderenfalls eher nicht.« Von der Geschworenenbank ertönt Gelächter. Jeder hier im Saal hat Mitleid mit mir, deshalb stehe ich ganz oben auf der Beliebtheitsskala.
»Und wie steht's mit Ihnen? Kennen Sie sich mit Computern aus?«
»Im Vergleich zu meinem Vater? Ja. Ich versteh sehr viel mehr davon als er.«
»Wie war das bei Ihrer Mom?«
»Sie war ein kleines Genie. Sie war promovierte Mathematikerin. Ehe Freunde von mir anfingen, Informatik zu studieren, verstand sie wesentlich mehr von Computern als jeder andere, den ich kannte. Und selbst meine Freunde riefen sie manchmal an, wenn sie Fragen hatten. Meine Mom hatte echt den Durchblick.«
»Kannten Sie das Passwort für den Computer Ihres Vaters?«
»Ich glaube, ja. Mein Vater benutzte für alles dasselbe Passwort.«
»Nämlich welches?«
»Das muss ich erklären. Wenn man seinen richtigen Vornamen, Rozat, ganz korrekt schreibt, hat er so ein kleines Häkchen über dem >z<, deshalb hat mein Dad ihn manchmal R, O, Z, H, A, T geschrieben. Das war das Passwort für unsere Mailbox zu Hause. Für die Alarmanlage. Den Geldautomaten. Die Bankkonten. Immer Rozhat. In der Hinsicht war er wie alle anderen. Wie soll man sich auch sechzehn Passwörter merken und dann noch im Kopf behalten, welches wofür ist?«
»Haben Sie den Umstand, dass Ihr Vater nur ein Passwort verwendete, je mit Ihrer Mutter besprochen?«
»Zig Mal.«
»Können Sie sich konkret an eine Gelegenheit erinnern?«
»Ich weiß noch, vor zwei Jahren war ich zu Besuch bei meinen Eltern, und mein Dad hatte per Post eine neue Kreditkarte bekommen. Er musste irgendwo anrufen, um sie aktivieren zu lassen, und die fragten nach dem Passwort für sein Konto, und er hielt doch tatsächlich die Sprechmuschel zu und fragte meine Mom: >Was hab ich für ein Passwort?< Sie hat nur die Augen verdreht, als wollte sie sagen >Das darf doch nicht wahr sein<, und dann hat sie mich angesehen, und ich bin fast vom Stuhl
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