Der letzte Beweis
weiden, falls Sie das befürchten«, sagt Molto. »Wir hatten hier eine Besprechung von Gefängnisbeamten und Staatsanwälten aus dem ganzen Staat.«
»Komischer Tagungsort.«
»Keine Journalisten.«
»Aha.«
»Die Justizvollzugsbehörde schlägt vor, einige Insassen zu entlassen, die über fünfundsechzig sind.«
»Weil sie keine Gefahr mehr darstellen?«
»Um Geld zu sparen. Der Staat kann es sich nicht mehr leisten, ihre Gesundheitsversorgung zu finanzieren.«
Ich lächele. Was für eine Welt. Niemand im Strafrechtssystem spricht je über die Kosten des Strafvollzugs. Alle denken, Moral hat keinen Preis.
»Vielleicht hat Harnason ja einen besseren Deal gemacht, als er dachte«, sage ich zu Tommy.
Tommy zuckt die Achseln. »Ich denke, er hat die Wahrheit gesagt.«
»Das denke ich auch. Größtenteils.«
Tommy nickt. Die Zellentür ist noch offen, und Torrez steht direkt davor. Um es sich etwas bequemer zu machen, lehnt sich Tommy in seinem Anzug an die Wand. Ich habe beschlossen, ihm nicht zu sagen, dass sich an der Stelle oft Feuchtigkeit sammelt.
»Jedenfalls«, sagt Tommy, »denken manche Leute, Sie sollten auch als Kandidat für eine vorzeitige Entlassung infrage kommen.«
»Ich? Wer denn, jemand außerhalb meiner Familie?«
»In meinem Büro kursiert anscheinend eine Theorie, dass Sie sich einer Straftat für schuldig bekannt haben, die Sie gar nicht begangen haben.«
»Die Theorie ist ungefähr so gut wie die anderen, die ihr über mich hattet. Die waren alle falsch, und die ist es auch.«
»Tja, ich hab mir gedacht, wo ich schon mal hier bin, schau ich kurz rein und höre, was Sie dazu zu sagen haben. Komischer Zufall, aber vielleicht ist das ja ein Zeichen, dass es mich ausgerechnet hierher verschlagen hat.«
Tommy hatte schon immer etwas von einem katholischen Mystiker an sich. Ich wäge ab, was er gesagt hat. Ich weiß nicht, ob ich gerührt oder erbost sein soll, als mir klar wird, dass Tommy noch immer bereit scheint, meinem Wort zu glauben. Ich kann mir nicht vorstellen, was er über mich denkt. Wahrscheinlich viel Widersprüchliches. Das ist sein Problem.
»Jetzt haben Sie es gehört, Tom. Woher stammt denn eigentlich diese Theorie bei Ihnen im Büro?«
»Ich bin gestern zufällig Milo Gorvetich begegnet, und der hat etwas wiederholt, was andere gesagt haben. Ich hab's zuerst nicht richtig verstanden, aber mitten in der Nacht ist es mir aufgegangen, und es hat mir keine Ruhe gelassen.«
Tommy schaut sich um, dann schiebt er den Kopf zur Tür hinaus und bittet Torrez um einen Stuhl. Es dauert eine Minute, bis der Aufseher mit einer Plastikkiste aufwarten kann. Ich hatte überlegt, Molto das brillenlose Edelstahlklosett anzubieten, aber Tommy ist zu korrekt, um darüber zu lachen. Und sehr bequem ist es auch nicht.
»Etwas hat Ihnen mitten in der Nacht keine Ruhe gelassen«, rufe ich ihm in Erinnerung, als er Platz genommen hat.
»Was mir keine Ruhe lässt, ist die Tatsache, dass ich einen Sohn habe. Und in etwa sechs Monaten werde ich noch einen haben.«
Ich gratuliere ihm. »Sie geben mir Hoffnung, Tommy.«
»Wie das?«
»Im fortgeschrittenen Alter noch mal neu anfangen? Bei Ihnen scheint das zu klappen. Vielleicht erlebe ich ja auch noch etwas Gutes, wenn ich hier rauskomme.«
»Das hoffe ich, Rusty. Der Glaube macht alles möglich, wenn ich das so sagen darf.«
Ich bin sicher, dass das keine Lösung für mich ist, aber ich nehme den Rat als gut gemeint hin, und das sage ich Tommy auch. Danach tritt Schweigen ein.
»Jedenfalls«, sagt Molto schließlich, »wenn mir jemand sagen würde, ich müsste zwei Jahre im Knast verbringen, um das Leben meiner Söhne zu retten, würde ich das tun, ohne mit der Wimper zu zucken.«
»Bravo.«
»Wenn ich also überzeugt gewesen wäre, dass ein Mensch, den ich liebe, auch ohne meine Einwilligung an dem Computer rumgefummelt hat, hätte ich mich vielleicht in mein Schwert gestürzt und mich schuldig bekannt, bloß um die Sache zu beenden.«
»Richtig. Aber dann wäre ich unschuldig, und ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich schuldig bin.«
»Das behaupten Sie.«
»Finden Sie das nicht ein bisschen absurd? Seit über zwanzig Jahren sage ich Ihnen, dass ich kein Mörder bin, und Sie glauben mir nicht. Dann finden Sie endlich eine Straftat, die ich begangen habe, und wenn ich sie gestehe, akzeptieren Sie das auch nicht.«
Molto lächelt. »Ich mach Ihnen einen Vorschlag. Weil Sie ja so ein ehrlicher Bursche sind. Sie erklären mir einfach
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