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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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aufbewahrt werden und nicht bei der Polizei. Als Orestes Tommy hereinkommen sah, wirbelte er fast in Michael-Jackson-Manier auf einer Fußspitze herum.
    »He, Boss!« Wenn er seine Ohrhörer trug, sprach er immer zu laut.
    »Hallo, Orestes.« Tommy deutete auf seine Ohren, und Orestes zog einen Stöpsel heraus. Tommy tippte auch auf die andere Seite. Orestes tat ihm den Gefallen, erwartete nun aber offensichtlich irgendwas Ernstes.
    »Was'n los?«
    »Der Fall Sabich«, antwortete Tommy. Orestes stöhnte auf. »Der mit dem Richter?«
    »Genau der.«
    »Mann, die Geschichte ist echt krank«, sagte er.
    Eine zutreffende Analyse. Tommy hatte auf dem ganzen Rückweg an Rusty denken müssen. Ihre Begegnung in der Zelle hatte Tommy, so schien es zumindest, stärker verunsichert als Sabich. Tommy hatte erwartet, Rusty wäre deprimiert oder albern, wie die meisten Männer in Einzelhaft, aber irgendwie hatte er fast einen befreiten Eindruck gemacht. Mit dem langen Haar und dem Gefängnisbart, weißer, als Tommy gedacht hatte, sah er aus wie ein Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel. Und er hatte dieselbe Aura - du kannst mir nichts anhaben. Das Schlimmste ist passiert. Jetzt kannst du mir nichts mehr anhaben. Doch trotz allem war Sabich immer noch er selbst. Wahrscheinlich hatte er Tommy nicht angelogen, aber er hatte auf seine eigene Art gesprochen, hatte seine Worte vorsichtig, sogar durchtrieben gewählt, damit er sich sagen konnte, dass er ehrlich war, um gleichzeitig zum Ausdruck zu bringen, dass nur er wirklich die Wahrheit kannte, eben typisch Rusty. Womit Tommy wieder in derselben Klemme steckte wie schon seit Jahren, wenn es um Rusty ging. Was war die Wahrheit, verdammt noch mal?
    »Ich bin immer noch nicht dahintergekommen, wie die das mit dem Computer hingekriegt haben.«
    »Mann«, sagte Orestes. »Ich auch nicht. Ich hab ihn jedenfalls nicht angefasst, Mann. Das weiß ich genau.« Er lachte.
    »Ich auch nicht. Aber irgendwie denke ich immer, dass wir irgendwas übersehen haben. Ich frage mich, ob Sabich vielleicht die Justizbehinderung gestanden hat, um seinen Jungen zu schützen. Könnte das sein?«
    »Okay«, sagte Orestes. Er ergriff die außergewöhnliche Maßnahme, seinen iPod auszuschalten, und setzte sich auf einen Metallhocker. »Mich hat keiner gefragt, aber wissen Sie noch, die große Besprechung, die wir hatten, nachdem ihr alle drüben im Gericht wart, nachdem ihr wusstet, dass die Weihnachtskarte getürkt war? Und Milo Gorvetich war damit zugange, dass keiner, der in Richter Masons Amtszimmer am Computer gewesen war - nicht Sabich und nicht sein Sohn und auch nicht die ehemalige Referendarin -, genug Zeit gehabt hätte, um da rumzufummeln und alles zu machen, was man machen musste, um die Karte zu erstellen. Wissen Sie noch?«
    »Klar.«
    »Und Jimmy B. meinte, Sabich müsste sich ins Gerichtsgebäude geschlichen haben?«
    »Genau.«
    »Jetzt nur mal so als Gedanke. Was, wenn sie es alle zusammen waren? Was, wenn sie alle zusammen die Karte auf den Rechner getrickst haben? Einer von ihnen hat was von einem USB-Stick aufgespielt, ein anderer hat Office Spy laufen lassen und wieder ein anderer das Programmverzeichnis geändert. Für alle zusammen oder auch nur zu zweit hätte die Zeit gereicht.«
    Tommy fasste sich an die Stirn. Natürlich. Vielleicht stand Orestes ja doch eine bessere Zukunft bevor, als er gedacht hatte.
    »Meinen Sie, es war so?«, fragte Molto.
    Orestes lachte laut auf. »Ey, ich hab keine Ahnung«, sagte er. »Computer sind immer der Wahnsinn, Mann. Da gibt's keinen, der sich wirklich auskennt. Das macht sie ja gerade so cool.«
    Tommy ließ sich diesen kleinen philosophischen Leckerbissen auf der Zunge zergehen. Das war ein Blick in die Zukunft. Computer, so sagte Orestes, waren in einer Hinsicht jetzt schon wie Menschen: Man konnte sie nie ganz verstehen.
    »Aber mal angenommen, Sie hätten die Karte auf den Computer bringen wollen. Hätten Sie es dann so gemacht?«
    »Ich?« Orestes lachte wieder, ein heller, melodischer Klang. »Ey, ich hätte es viel einfacher hingekriegt. Sag ich jetzt mal.«
    Orestes' lockeres Selbstbewusstsein war leicht alarmierend. Schließlich war er für die Entwicklung von Systemen zuständig, die die in seiner Obhut befindlichen Beweismittel vor Manipulationen schützen sollten. Natürlich fragte Tommy, was er damit meinte.
    »Na ja, hat sich so ergeben. Ich meine, in der Nacht, als ich oben im Büro war, um mit Jimmy B. die Folie zu entfernen

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