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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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unter einen Hut zu bringen, und ihr dabei zuzusehen ist ebenso mitreißend, als würde man einen großartigen Sportler auf dem Spielfeld beobachten. Jetzt wo wir plötzlich auf Augenhöhe sind, finde ich ihre Intelligenz auf elementare Weise bezaubernd. Doch in unseren Gesprächen spielt zärtliches Geraune eine untergeordnete Rolle. Wir reden von Jurist zu Jurist, debattieren förmlich immer, leicht amüsiert, aber nie ohne eine gewisse Schärfe. Und was wir erörtern, ist eine Wahrheit, die uns beiden von Anfang an klar sein musste: Das mit uns kann unmöglich gut ausgehen. Sie wird jemanden kennenlernen, der besser zu ihr passt. Oder wir fliegen auf, und mein Leben wird erneut in rauchenden Trümmern liegen. So oder so, es gibt keine Zukunft.
    »Wieso nicht?«, fragt sie, als ich das an unserem zweiten Nachmittag beiläufig erwähne.
    »Ich kann Barbara nicht verlassen. Erstens würde mir das mein Sohn nie verzeihen. Und zweitens ist es unfair.« Ich erkläre unsere Geschichte ein wenig, beschreibe sogar ausführlich die halbe Apotheke, die Barbara in ihrem Arzneischrank aufbewahrt, um ihr begreiflich zu machen: Meine Ehefrau ist beschädigt. Ich wusste das, als ich mich wieder auf sie eingelassen habe.
    Annas Miene schwankt irgendwo zwischen mürrisch und gekränkt, und sie wird rot.
    »Anna, das hast du gewusst. Das musst du gewusst haben.«
    »Ich weiß nicht, was ich gewusst habe. Ich musste einfach nur mit dir zusammen sein.« Tränen kriechen ihr über die geröteten Wangen.
    »Das Problem ist folgendes«, sage ich zu ihr. »Zwischen uns besteht ein grundlegender Unterschied.«
    »Meinst du das Alter? Du bist ein Mann. Ich bin eine Frau. Alter interessiert mich nicht.«
    »Das sollte es aber. Du stehst am Anfang, ich am Ende. Männer in meinem Alter verlieren ihre Haare. Und dafür wachsen ihnen neue aus den Ohren. Sie bekommen einen Bauch. Was meinst du, woran das liegt?«
    Sie verzieht das Gesicht. »Hormone?«
    »Nein, ich meine, was würde Darwin sagen? Worin liegt der Nutzen, dass alte Männer anders aussehen als junge Männer? Damit fruchtbare junge Frauen sehen können, mit wem sie sich paaren sollten. Damit irgendein Salonlöwe, der so alt ist wie ich, dir nicht erzählen kann, er wäre zwanzig Jahre jünger.«
    »Du bist kein Salonlöwe. Und ich bin kein Dummchen.« Beleidigt schlägt sie die Decke zurück und stolziert in all ihrer nackten Pracht zum Schreibtisch, um eine Zigarette zu rauchen. Ich hatte sie vorher noch nie rauchen sehen und war ein wenig verblüfft gewesen, dass sie ein Raucherzimmer gebucht hatte. Ich habe aufgehört, als ich aus der Reserve der Nationalgarde ausschied, aber ich habe nie aufgehört, den Geruch einer brennenden Zigarette mit blindem Genuss zu verbinden. »Was denkst du denn?«, fragt sie. »Dass das für mich bloß eine neue Erfahrung ist?«
    »Darauf wird es am Ende hinauslaufen. Etwas Verrücktes, das du mal gemacht hast, um daraus zu lernen.«
    »Erzähl mir nicht, dass ich jung bin.«
    »Wir wären beide nicht hier, wenn du nicht jung wärst. Wir fänden uns gegenseitig weit weniger faszinierend.«
    Ich trete hinter sie, drehe sie zu mir herum und streiche mit beiden Händen über ihren Oberkörper. Körperlich ist sie wunderbar, eine Macht, die Anna genießt und für deren Erhalt sie einiges tut. Maniküren und Pediküren, Friseurtermine, Kosmetiktermine, »turnusmäßige Wartung« nennt sie das. Ihre Brüste sind perfekt, groß, schön geformt, mit einem breiten dunklen Hof um die langen Brustwarzen. Und ich bin fasziniert von ihrem Intimbereich, wo sich ihre Jugend gleichsam konzentriert. Sie ist haarlos dort, Brazilian Waxing, so nennt sie das. Ich kannte das bisher nicht, und das glatte Gefühl weckt meine Lust so schnell, als würde ein Blitz einschlagen. Ich huldige und trinke und lasse mir Zeit, während sie abwechselnd stöhnt und ihre Wünsche flüstert.
     
    In diesem Zustand des Staunens geht das Leben weiter. Ich mache meine Arbeit, schreibe Urteilsbegründungen, erteile Anweisungen, habe Treffen mit Vertretern der Anwaltskammer und Komitees, regele die immerwährenden bürokratischen Kämpfe innerhalb des Gerichts, doch immer ringt Anna in unterschiedlichen sinnlichen Posen um meine Aufmerksamkeit. Kolls Parteiwechsel, den er gleich in der Woche nach meinem Geburtstag vornahm, hat vorläufig die Dringlichkeit aus meinem Wahlkampf genommen, wenngleich Raymond weiter Veranstaltungen plant, um Gelder zu beschaffen.
    Anna und ich reden mehrmals am Tag

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