Der letzte Beweis
hindurchgekrochen, um mit den Tieren im Zoo zu schmusen. Endlich, denke ich, als ich sie berühre. Endlich.
Hinterher, als sie die Zipfel ihrer Bluse wieder in den Rock schiebt, sage ich: »Es ist also wirklich passiert.«
Ihr Lächeln ist glücklich, arglos. Wenn Anna etwas genießt, empfindet sie keine Verlegenheit.
»Du wolltest nicht, oder? Jedes Mal wenn ich ins Zimmer kam, hab ich gespürt, dass du das Für und Wider abgewogen hast. Und dich dagegen entschieden hast.«
»Ich wollte nicht«, sage ich. »Aber hier bin ich.«
»Ich denke nur einmal über etwas nach«, erklärt sie mir. »Und dann treffe ich eine Entscheidung. Das ist eine Gabe. Vor ungefähr drei Monaten wurde mir klar, dass ich mit dir schlafen will.«
»Und wenn du etwas willst, bist du ausdauernd wie ein Wolf, was?«
Sie lächelt, ein Lächeln, das die Welt umarmt. »Ausdauernd wie ein Wolf, genau«, sagt sie.
In meinem Richterzimmer, bei Wahlkampfveranstaltungen, wenn ich die Straße hinuntergehe oder im Bus sitze, verhalte ich mich wie im normalen Leben, doch insgeheim habe ich mich an einen neuen Ort begeben. Ich denke unentwegt an Anna, lasse obsessiv die winzigen Schritte Revue passieren, die uns im Laufe der Monate zu einem Liebespaar gemacht haben, und kann es noch immer nicht richtig fassen, dass ich die Grenzen überwunden habe, die ich meiner Existenz auferlegt hatte. Zu Hause habe ich überhaupt kein Schlafbedürfnis mehr, nicht nur, weil es mir widerstrebt, mich neben Barbara ins Bett zu legen, sondern auch, weil mein Körper in der letzten Woche von einer enormen Vitalität erfüllt wurde, wie ich sie seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt habe. Und da die Glasvitrine, in der jede Frau außer meiner eigenen seit einem Menschenalter sicher verwahrt war, plötzlich verschwunden ist, empfinde ich in Gesellschaft praktisch jeder Frau einen sinnlichen Kitzel.
Dennoch weiß ich zu jedem Zeitpunkt, dass das, was ich tue, in jeder Hinsicht Wahnsinn ist. Einflussreicher Mann mittleren Alters, schöne, sehr viel jüngere Frau. Diese Konstellation bekommt null Punkte für Originalität und ist verdientermaßen Gegenstand allgemeiner Verachtung, meine eigene eingeschlossen. Nach meiner ersten Affäre - vor gut zwanzig Jahren - war ich innerlich dermaßen zerrissen, dass ich eine Therapie anfing. Jetzt jedoch kommt mir nicht mal der Gedanke, mir einen Therapeuten zu suchen, was ich seit Jahren immer mal wieder in Erwägung gezogen habe, weil ich, auch ohne dass mich jemand auf den Trichter bringen muss, weiß, dass das Ganze einfach verrückt ist, hedonistisch, nihilistisch und, das wichtigste »istisch« von allen - unrealistisch. Es muss aufhören.
Wenn unsere Affäre auffliegt, wäre das für Anna längst nicht so verheerend wie für mich. Es wäre ein peinlicher Auftakt für ihre Karriere. Aber keiner würde ihr die Hauptschuld geben. Sie hat keine Ehefrau, der sie Treue geschworen hat, strebt kein öffentliches Amt an. Die Tatsache, dass wir uns zurückgehalten haben, bis sie nicht mehr für mich arbeitete, könnte meine Position am Gericht retten, aber mein Rivale N.J. Koll würde schlagartig zum Favoriten werden.
Und das wäre noch der geringste Preis. Barbaras Zorn ist tödlich und würde sie in ihrem Zustand höchstwahrscheinlich zu einer Gefahr für sie selbst machen. Doch das mit Abstand Schlimmste für mich wäre, Nat gegenüberzutreten und seinen Gesichtsausdruck zu sehen, bar jeder Achtung.
Im Zuge meiner ersten Affäre gelangte ich unter anderem zu der Erkenntnis, dass ich jede Menge Ballast aus dem dunklen, unglücklichen Elternhaus, in dem ich aufwuchs, mit mir herumschleppe. Bis dahin hatte ich mir naiv eingebildet, ein Bilderbuchamerikaner zu sein, jemand, dem es als Sohn eines sadistischen Kriegsveteranen und exzentrischen Einsiedlers gelungen war, sich zu verändern und mehr aus sich zu machen als bloß einen Durchschnittsbürger. In gewisser Weise sehne ich mich noch immer danach, ein Vorbild zu sein, der Meister einer trügerischen Ordnung. Doch mich verfolgt der Schatten, der weiß, dass ich das nicht bin. Niemand ist das. Auch das weiß ich. Aber ich beschäftige mich mehr mit meinen Unzulänglichkeiten als andere Menschen. Das ist die Faszination des Lasters für mich. Es bedeutet, dass ich akzeptiere, wer ich bin.
Anna ist wie viele, die ich im Jurastudium kennengelernt habe, nicht intellektuell, aber hochintelligent, ungemein flink, wenn es um die anwaltliche Aufgabe geht, Tatsachen und Rechtslage
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