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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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Richtern erklären, aber keinesfalls mehrere Hundert Dollar die Woche. Doch fast wie durch göttliches Eingreifen kommt endlich die Erhöhung des Ortszuschlags für alle Richter im Staat durch, die sich durch Rechtsstreitigkeiten lange verzögert hat. Ich stoppe die Direktüberweisung meines Gehaltsschecks am 17. April und gehe stattdessen mit dem Scheck zur Bank, wo ich denselben Betrag einzahle, der sonst elektronisch überwiesen wurde, und mir den erhöhten Ortszuschlag in bar auszahlen lasse. Einschließlich der Nachzahlung für zweieinhalb Jahre belauft sich die Summe auf fast viertausend Dollar.
    »Ich bin froh, dass das mit uns ein Geheimnis ist«, sage ich zu Anna, als wir einmal an einem frühen Nachmittag im Bett liegen. Wir treffen uns jetzt zwei- bis dreimal die Woche, in der Mittagspause oder nach der Arbeit, wenn ich vorgeben kann, ich wäre auf einer Wahlkampfveranstaltung. »Weil dir sonst nämlich Millionen Menschen sagen würden, dass du verrückt bist.«
    »Warum bin ich verrückt? Wegen des Altersunterschieds?«
    »Nein«, sage ich, »das ist nur normaler Wahnsinn. Oder anormaler. Ich meine damit, dass die letzte Frau, mit der ich eine Affäre hatte, am Ende tot war.«
    Jetzt habe ich ihre Aufmerksamkeit. Die grünen Augen sind reglos, und die Zigarette verharrt auf halbem Weg zu ihren Lippen.
    »Muss ich Angst haben, dass du mich umbringst?«
    »Manche Leute würden auf ein gewisses Muster hinweisen.« Sie hat sich noch immer nicht bewegt. »Ich hab's nicht getan«, sage ich. Sie ahnt es wahrscheinlich nicht, aber das hier ist die größte Intimität, die ich ihr bislang gewährt habe. Seit über zwei Jahrzehnten habe ich mich aus Prinzip selbst meinen engsten Freunden gegenüber nie zu einer solchen Beteuerung herabgelassen. Falls sie Argwohn hegen, obwohl sie mich gut kennen, würde ich ihn auch nicht dadurch zerstreuen können, dass ich es abstreite.
    »Weißt du«, sagt sie, »ich weiß viel über den Fall. Damals habe ich zum ersten Mal daran gedacht, Anwältin zu werden. Ich hab täglich alles über den Prozess gelesen, was in der Zeitung stand.«
    »Und wie alt warst du da? Zehn?«
    »Dreizehn.«
    »Dreizehn«, sage ich schwermütig. Allmählich begreife ich, dass ich mich nie an meine monumentale Torheit gewöhnen werde. »Dann machst du mich also auch noch dafür verantwortlich, dass du Anwältin geworden bist? Jetzt werden die Leute erst recht sagen, dass ich dich verdorben hab.«
    Sie schlägt mich mit dem Kissen. »Was meinst du, wer es war?«, fragt sie.
    Ich schüttele den Kopf.
    »Weißt du es nicht?«, fragt sie. »Oder willst du es nicht sagen? Ich hab da so meine Theorie. Möchtest du sie hören?«
    »Thema beendet.«
    »Obwohl du mir gerade gesagt hast, dass ich in Lebensgefahr schwebe?«
    »Wir sollten uns anziehen«, sage ich und mache keinen Hehl aus der Tatsache, dass es mir reicht.
    »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht ärgern.«
    »Lass uns nicht mehr drüber reden. Veteranen sprechen nicht über den Krieg. Sie lassen ihn einfach hinter sich. Das ist dasselbe. Obwohl du mich schon ins Grübeln gebracht hast.«
    »Darüber, wer es war?«
    »Darüber, warum du hier bist. Angesichts meiner gefährlichen Geschichte.«
    Sie hat ihre Unterwäsche angezogen, doch jetzt entledigt sie sich ihres BHs so schwungvoll wie eine Stripperin, schleudert ihn durchs Zimmer.
    »Die Liebe«, sagt sie und fällt in meine Arme, »lässt einen verrückte Dinge tun.« Wir sind beide spät dran, aber diese Unbekümmertheit erweckt in mir wieder dieses brennende Begehren, und wir tun es noch einmal.
    Hinterher sagt sie: »Ich glaub's einfach nicht. Basta.«
    »Danke«, sage ich leise. »Ich bin froh, dass es dich nicht abgehalten hat.«
    Sie zuckt die Achseln. »Vielleicht das Gegenteil.«
    Ich blicke sie fragend an.
    »Ich meine, du bist immer noch so eine Art Legende«, sagt sie. »Nicht bloß für Anwälte. Was meinst du wohl, warum niemand, der sie noch alle hat, gegen dich um den Sitz im Obersten Gericht kandidieren will?«
    Das Oberste Gericht. Mein Herz überschlägt sich mehrmals. Währenddessen starrt Anna vor sich hin, mit ihren Gedanken woanders.
    »Weißt du«, sagt sie schließlich, »manchmal tut man Dinge, die man selbst nicht richtig versteht. Man muss sie einfach tun. Sinn oder Unsinn - das spielt keine große Rolle.«
    Dieses Gespräch verleiht einer Frage, die ich mir selbst unentwegt stelle, noch größere Dringlichkeit. Was ist mit einer jungen Frau los, die ich in fast jeder

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