Der letzte Beweis
Ich hab ihn gehasst. Er wollte mich verlassen. Ich war alt, und er nicht. Ich hab ihn versorgt, und zu Anfang war er dankbar, aber dann war er mich satt. Ich bin zu alt, um noch jemanden zu finden, jemanden wie ihn. Das können Sie doch nachvollziehen, oder?«
Ich nicke und frage mich erneut, wie viel er von Anna weiß.
»Aber zu Anfang hab ich eigentlich nicht gedacht, dass ich es wirklich tun werde«, sagt Harnason. »Ich hatte öfter dran gedacht. Das gebe ich zu. Ich bin in die Bibliothek gegangen, hab mir einiges angelesen. Es gab da einen Berufungsfall, wussten Sie das? In Pennsylvania. Da war die Rede davon, dass Arsenik beim Drogenscreening nicht erfasst wird.« Er lacht leicht verbittert. »Die Ankläger haben nicht bedacht, dass ich mal Anwalt war.«
»Und wie haben Sie das Arsenik verabreicht? Mit den Drinks?«
»Ich habe gebacken.« Harnason lacht wie zuvor auf Kosten seiner Ankläger. Staatsanwälte sind Historiker, die sich mit der Rekonstruktion der Vergangenheit einschließlich aller Tücken der Geschichte befassen. Sie liegen nie komplett richtig, weil die Zeugen befangen sind oder Schuldzuweisungen vornehmen oder sich irren oder aber weil die Ermittler, wie in diesem Fall, nicht die passenden Fragen gestellt oder ihre Erkenntnisse richtig zusammengefügt haben. »Alle, die ausgesagt haben, dass ich nie gekocht habe, hatten recht. Wenn Ricky zu Hause war, gehörte die Küche ihm. Aber ich habe gebacken. Und Ricky aß gern Süßes. Die ersten paar Male hab ich mir gesagt, es wäre nur so aus Spaß, um rauszufinden, ob er was merken oder wie ich mich fühlen würde, ob ich das tun könnte, was ich mir angelesen hatte. Selbst als ich es schon fünfmal gemacht hatte, hab ich mir immer noch eingeredet, ich würde aufhören. Wissen Sie, das hab ich mir oft gesagt«, erklärt Harnason unvermittelt. »Dass ich aufhören würde.« Seine faltigen Augen werden fahrig. »Aber das tue ich nie«, sagt er finster. »Ich habe nicht aufgehört. Irgendwann, so um den siebten oder achten Tag herum, wurde mir klar, dass ich es tun würde. Ich hasste ihn. Ich hasste mich selbst. Ich würde es auf jeden Fall tun. Und Sie, Euer Ehren? Was war das für ein Gefühl, als Sie diese Staatsanwältin getötet haben? Verbrechen aus Leidenschaft?«
»Ich hab es nicht getan.«
»Verstehe.« Sein Blick ist kalt. Er ist bei diesem Spiel übertölpelt und ausgebootet worden. »Sie sind besser als ich.«
»Das würde ich niemals behaupten, John. Vielleicht hatte ich mehr Glück. Kein Mensch ist an und für sich gut. Jeder braucht Hilfe. Ich habe mehr Hilfe bekommen als Sie.«
»Und wer hilft Ihnen jetzt?«, fragt er. Er wendet sein rosa Gesicht ruckartig in Richtung Hotel. Da wären wir, Sünder unter sich. Ich fühle mich beschämt darüber, wie berechenbar ich bin.
In diesem Gespräch wurden zu viele Wahrheiten ausgesprochen, als dass ich noch lügen könnte. Ich schüttele bloß ein weiteres Mal den Kopf und wende mich ab.
Rustys Geburtstag 19.03.2007 - Barbaras Tod 29.09.2008 - Die Wahl 04.11.2008
Kapitel 8
Tommy, 17. Oktober 2008
Rory Gissling war die Tochter des Polizisten Shane Gissling, der es bis zum Detective Sergeant gebracht hatte. Als Mädchen war Rory zauberhaft, sie war aufgeweckt, hübsch und sympathisch. Shane wünschte sich für sie all das, was Dads sich in jener Zeit für ihre Töchter so wünschten. Sie sollte einen anständigen Beruf lernen und dann so gut heiraten, dass sie ihn nie würde ausüben müssen. Er hätte im Traum nicht daran gedacht, dass seine Tochter zur Polizei gehen würde, wo man es mit der schmutzigen Seite des Lebens zu tun hat. Sie absolvierte bravourös ihr BWL-Studium, schaffte die Steuerberaterprüfung gleich im ersten Anlauf und legte bei einer der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften einen Traumstart hin. Alles war gut, aber sie hatte das Gefühl, als säße sie eine Strafe ab. Nach vier Jahren schmiss sie den Job und bewarb sich an der Polizeiakademie, ohne ihren Eltern ein Wort davon zu sagen. Es hieß, Shane hätte sich vor Kummer die Augen ausgeweint, als er davon erfuhr.
Nach zwei Jahren auf Streife wechselte Rory in die Abteilung für Finanzkriminalität und war seitdem ein Star. Als sie mit Jim Brand hereinkam, sah Tommy etwas enttäuscht, dass sie schwer nachgelassen hatte, seit er sie vor einigen Jahren zuletzt gesehen hatte. Als jemand, der äußerlich nicht gerade viel hermachte und sich schon abstrampeln musste, um nicht völlig unmöglich
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