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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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geschnappt wird, dann -«, Sandys Hand sinkt herab, »wäre das natürlich problematisch. Es steht zu hoffen, dass der Bursche aus Dankbarkeit Ihnen gegenüber den Mund halten würde, aber es wäre unvernünftig, sich darauf zu verlassen. Was die strafrechtliche Frage angeht, so wäre es, glaube ich, extrem schwierig, Anklage zu erheben - ein zweifach verurteilter Straftäter, den Sie beim ersten Mal ins Gefängnis geschickt haben? Als Zeuge wenig glaubhaft. Und dazu müsste Molto sich erst mal irgendeine imaginäre Straftat aus den Fingern saugen. Falls Harnason der einzige Zeuge ist, den die Staatsanwaltschaft hat - und ich wüsste nicht, wer sonst infrage käme -, wäre das eine ziemlich dürftige Anklage.
    Anders verhält es sich mit dem disziplinarischen Aspekt gegenüber der Gerichtskommission. Im Unterschied zur strafrechtlichen Untersuchung werden Sie irgendwann dort aussagen müssen, und so verwirrt Sie zu dem Zeitpunkt auch gewesen sein mögen, wir wissen beide, dass Sie gegen etliche Regeln angemessenen richterlichen Verhaltens verstoßen haben. Andererseits, solange die Aussicht auf strafrechtliche Verfolgung nicht hinfällig ist - und mit Tommy Molto auf dem Stuhl des Oberstaatsanwalts wird sie das ganz sicher nicht sein -, brauchen Sie Ihren Kollegen gegenüber nichts zu sagen. Ich protokolliere meine Gespräche mit Mandanten so gut wie nie, aber in diesem Fall werde ich einen Aktenvermerk machen, falls Sie je belegen möchten, dass ich Ihnen diesen Rat gegeben habe.«
    Er sagt das ganz beiläufig, aber natürlich spielt er darauf an, dass er wahrscheinlich tot sein wird, wenn ich irgendwann gezwungen sein werde, mein Schweigen zu rechtfertigen.
    Im Fahrstuhl, auf dem Weg nach unten, denke ich über Sterns Einschätzung nach, die im Großen und Ganzen mit meiner eigenen übereinstimmt. Nach Lage der Dinge werde ich wahrscheinlich mit allem ungeschoren davonkommen. Harnason ist für immer von der Bildfläche verschwunden. Barbara und Nat werden nie von Anna erfahren. Ich werde ins Oberste Bundesstaatsgericht gewählt werden und im Laufe der Zeit eine kurze Phase unglaublicher Verrücktheit vergessen. Ich werde bekommen, was ich wollte, auch wenn ich es nicht ganz verdient habe, und ich werde, nachdem ich alles aufs Spiel gesetzt habe, mein Leben vielleicht besser genießen können, als das sonst der Fall gewesen wäre. Dieser Gedankengang scheint unausweichlich, bietet aber nur wenig Trost. Unwohlsein breitet sich in meinem Innern aus.
    Ich trete durch die Schutzschleuse der Drehtür hinaus in einen strahlenden Tag, der die erste sommerliche Wärme in sich trägt. Auf der Straße herrscht Gedränge, Menschen auf dem Weg zum Lunch oder beim Einkaufsbummel, und alle tragen ihre Jacken über den Arm gehängt. Auf der Fahrbahn sind Bauarbeiter dabei, die im Winter entstandenen Schlaglöcher mit heißem Teer zu füllen, dessen beißendes Aroma seltsam berauschend wirkt. Die Bäume im Park gegenüber tragen frisches Grün, stehen endlich in vollem Laub, und der Wind trägt den stählernen Geruch des Flusses herüber. Das Leben scheint rein. Mein Weg ist vorgegeben. Und damit bleibt keine Flucht mehr vor der Wahrheit, die mich fast in die Knie zwingt.
    Ich liebe Anna. Was soll ich nur tun?
     
    Rustys Geburtstag 19.03.2007 - Barbaras Tod 29.09.2008 - Die Wahl 04.11.2008
     

Kapitel 10
    Tommy, 25. Oktober 2008
     
    Tommy Molto konnte das Gefängnis nicht ausstehen. Es war drei Stockwerke hoch, aber selbst tagsüber düster wie ein Kerker, weil man im Jahre 1906 zur Verhinderung von Ausbrüchen Fenster eingebaut hatte, die nur fünfzehn Zentimeter breit waren. Außerdem waren die Geräusche irgendwie verstörend, das gequälte Dröhnen, das von dreitausend gefangenen Seelen ausging. Und von dem Geruch gar nicht erst zu reden. So streng auch auf die sanitären Bedingungen geachtet wurde, bei Tausenden von Menschen, die auf engstem Raum untergebracht waren und sich jeweils zu zweit ein deckelloses Edelstahlklo teilen mussten, durchströmte den gesamten Bau ein sumpfiger Fäkaliengeruch. Es war nicht das Four Seasons. Und das sollte es auch nicht sein. Nach dreißig Jahren, die Tommy mittlerweile hierherkam, um mit Zeugen zu reden und Angeklagte ins Gebet zu nehmen, hätte man meinen sollen, dass er daran gewöhnt wäre. Aber ihm drehte sich noch immer der Magen um. Ein wenig lag das auch an der hässlichen Realität dessen, was er tat. Tommy dachte gern, dass es in seinem Beruf um Richtig und Falsch und um

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