Der letzte Beweis
Rusty eine gute Nachricht. Wenn Koll seine Werbespots wieder schaltete, würde er sich nicht weiter darüber aufregen können, dass der Verrückte, den Sabich auf freien Fuß gesetzt hatte, noch immer frei herumlief.
Inzwischen waren Tommy und Brand durch die zwei massiven Gittertüren gelassen worden, eine Art Luftschleuse zwischen Gefangenschaft und Freiheit, und ein Aufseher namens Sullivan führte sie nach hinten zu den Vernehmungsräumen. Sullivan klopfte an eine weiße Tür, und Tooley kam heraus in den schmalen Korridor. Mel, normalerweise ein korpulenter Modefatzke, trug Freizeitkleidung. Offenbar hatte er gerade im Garten gearbeitet, als Harnason gegen fünf Uhr nachmittags eingeliefert wurde. Er hatte Schmutz unter den polierten Fingernägeln und an der Jeans. Tommy brauchte einen Moment, ehe ihm klar wurde, dass Tooley in der Eile sein Toupet vergessen hatte. Eigentlich sah er ohne besser aus, doch Tommy beschloss, seine Meinung für sich zu behalten.
Tooley erging sich in der üblichen Katzbuckelei, weil der allmächtige Oberstaatsanwalt so spät noch hergekommen war.
»Ich freue mich auch, Sie zu sehen, Mel«, sagte Tommy. »Was liegt an?«
»Okay, das ist jetzt rein hypothetisch«, sagte Mel und senkte die Stimme. Im Gefängnis wusste man nie, wer für welche Seite spielte. Einige Wachleute arbeiteten für die Gangs, andere standen auf der Gehaltsliste von Journalisten. Tooley schob sich so nah ran, dass es fast aussah, als wollte er Tommy küssen. »Aber wenn Sie Mr Harnason fragen würden, warum er sich damals zur Flucht entschieden hat, dann würde er Ihnen sagen, dass er vorzeitig von der Entscheidung des Berufungsgerichts erfahren hatte.«
»Wie das?«
»Das ist das Beste«, sagte Mel. »Der oberste Richter höchstselbst hat es ihm gesagt.«
Tommy hatte das Gefühl, als hätte er ein Brett vor den Kopf bekommen. Er konnte es nicht glauben. Rusty galt als nahezu verkniffen korrekter Richter.
»Sabich?«, fragte Tommy.
»Volltreffer.«
»Warum?«
»Das war eine ziemlich seltsame Unterhaltung. Das sollten Sie sich selbst anhören. Ist ziemlich brisant. Ich meine«, sagte Mel, »auf jeden Fall können Sie damit seinen Träumen vom Obersten Bundesstaatsgericht das Licht auspusten. Das auf jeden Fall. Vielleicht können Sie ihn sogar zum Anstifter und Helfershelfer der Flucht machen. Und Missachtung des Gerichts. Wegen Verstoßes gegen die Vorschriften seines eigenen Gerichts.«
Wie so viele andere glaubte Mel, dass Tommy Gott weiß was dafür geben würde, Rusty an den Karren zu fahren. Stattdessen lachte der Oberstaatsanwalt laut auf.
»Mit Harnason als einzigem Zeugen? Ein verurteilter Mörder gegen den obersten Richter des Berufungsgerichts? Und ich als Ankläger?« Schlimmer noch, diese Geschichte passte so gut zu Kolls Werbespots, dass alle Welt Tommy als N. J.s naiven Handlanger verlachen würde.
Mel hatte fleischige Wangen, in denen seine Aknenarben Schatten warfen.
»Es gibt noch einen anderen Zeugen«, sagte Tooley leise. »Harnason hat zum damaligen Zeitpunkt jemandem von dem Gespräch erzählt.«
»Wem?«
Mel lächelte sein schiefes Lächeln. Er war nie imstande gewesen, seine rechte Gesichtshälfte zu heben.
»Da muss ich mich vorläufig auf meine anwaltliche Schweigepflicht berufen.«
Was für ein Dream-Team, dachte Tommy. Ein schmieriger Mörder und ein schmieriger Anwalt. Tooley steckte wahrscheinlich selbst in der Sache mit drin und hatte Harnason geholfen, sich aus dem Staub zu machen. Aber Mel war Mel. Er würde dafür gesorgt haben, dass Harnason diesen Teil vergaß, und er würde einen guten Zeugen abgeben. Er wusste, wie man Geschworene rumkriegte. Das machte er nun schon seit fast vierzig Jahren.
»Wir müssen das von Ihrem Mandanten hören«, erklärte Tommy. »Kein Deal vorab. Falls das, was er sagt, Hand und Fuß hat, können wir weiterreden. Nennen Sie es ein Vorkaufsrecht. Hypothetisch. Oder nennen Sie es, wie Sie wollen, damit wir es nicht gegen ihn verwenden können.«
Nach einem kurzen Moment mit seinem Mandanten winkte Tooley die beiden in den Gesprächsraum. Der war höchstens zweieinhalb mal drei Meter groß und weiß gestrichen, obwohl hier und da schwarze Streifen auf der Wand zu sehen waren. Molto wollte lieber nicht darüber nachdenken, wie die Sohlenabdrücke dorthin gekommen waren. Was den Häftling betraf, so sah John Harnason nicht besonders gut aus. Er hatte sich nach seiner Flucht den Schnurrbart abrasiert und die Haare grau werden lassen,
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