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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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wirklich voll und ganz zu empfinden. Und egal wie die Harnason-Sache weitergeht, dieser Teil der Geschichte wird unerzählt bleiben. Barbara wird es nicht erfahren. Nat wird es nicht erfahren. Ich habe das Schlimmste umschifft.
    Ich frage mich die ganze Zeit. Ist es wirklich Anna, die ich vermisse? Oder liebe?
     
    Zwei Wochen nach unserem letzten Treffen im Dulcimer kommt Anna unangemeldet in meine Amtsräume. Ich sitze am Schreibtisch und erkenne ihre Stimme, als sie im Vorzimmer zu meiner Sekretärin sagt, sie sei im Haus, um einen Schriftsatz einzureichen, und wollte nur mal Hallo sagen. Ihr Gesicht erhellt sich, als sie mich an der Tür auftauchen sieht, und sie rauscht unaufgefordert in mein Büro, bloß eine ehemalige Referendarin, die auf einen Sprung vorbeischaut, so was kommt öfter vor.
    Sie ist fröhlich und scherzt noch laut mit Joyce darüber, dass sie die gleichen Stiefel tragen, bis ich die Tür schließe. Dann sinkt sie in sich zusammen und vergräbt das Gesicht in den Händen.
    Ich spüre das Pochen meines Herzens. Sie ist so schön. Sie trägt ein graues, maßgeschneidertes Kostüm, und ich erinnere mich noch ganz genau, wie es sich anfühlt, als würden meine Hände jetzt darüberstreichen.
    »Ich habe jemanden kennengelernt«, sagt sie leise und blickt auf. »Er wohnt bei mir im Haus. Ich hab ihn bestimmt schon hundertmal gesehen und erst vor zehn Tagen die ersten Worte mit ihm gewechselt.«
    »Anwalt?« Auch meine Stimme ist sehr leise.
    »Nein.« Sie schüttelt entschieden den Kopf, als wollte sie sagen, so dumm wäre sie niemals. »Er ist Geschäftsmann. Investments. Geschieden. Etwas älter. Ich mag ihn. Ich hab letzte Nacht mit ihm geschlafen.«
    Es gelingt mir, nicht zusammenzuzucken.
    »Ich fand's furchtbar«, sagt sie. »Fand mich furchtbar. Ich meine, ich sage mir, dass jeder in seinem Leben Menschen wie dich und mich hat, Menschen, die nicht ewig bleiben können, aber die einem für eine gewisse Zeit viel bedeuten. Ich denke, wenn man ein offenes und ehrliches Leben führt, dann muss es solche Menschen geben. Findest du nicht auch?«
    Ich habe Freunde, die glauben, dass alle Beziehungen unter diese Überschrift fallen - nur begrenzte Zeit gut. Doch ich nicke ernst.
    »Ich versuche alles, Rusty.«
    »Wir brauchen beide Zeit«, sage ich.
    Sie schüttelt ihr schönes Haar. Sie hat es in den vergangenen zwei Wochen schneiden lassen und leicht eingedreht.
    »Ich werde immer darauf warten, dass du sagst, du willst mich zurückhaben.«
    »Ich werde dich immer zurückhaben wollen«, antworte ich. »Aber das wirst du mich nie sagen hören.« Sie lächelt schwach, als ihr die bewusste Absurdität meiner Bemerkung auffällt.
    »Warum bist du so fest entschlossen?«, fragt sie.
    »Weil wir den logischen Abschluss erreicht haben. Es gibt kein Happy End. Keinen glücklicheren Ausgang. Und allmählich finde ich mich damit ab.«
    »Womit genau findest du dich ab, Rusty?«
    »Dass ich nicht das Recht habe, zweimal zu leben. Das hat niemand. Ich habe meine Entscheidungen getroffen. Es wäre eine Missachtung des Lebens, das ich gelebt habe, wenn ich es jetzt über den Haufen werfen würde. Und welche Macht es auch immer war, die mich über hauchdünnes Eis gleiten und überleben ließ, ich muss ihr dankbar sein. Ich meine, ich hab es dir wieder und wieder gesagt, Barbara darf es nicht erfahren. Niemals.«
    Anna betrachtet mich mit harten Augen, ein Ausdruck, den ich gelegentlich bei ihr gesehen habe und der in den kommenden Jahrzehnten Hunderte von Zeugen im Kreuzverhör erwartet.
    »Liebst du Barbara?«
    Gute Frage. Seltsamerweise fragt sie mich das jetzt zum ersten Mal.
    »Wie viele Stunden hast du?«, frage ich. »Ein ganzes Leben, wenn du willst.«
    Ich lächle dünn. »Ich denke, ich hätte eine bessere Wahl treffen können.«
    »Warum gehst du dann nicht?«
    »Vielleicht tu ich das.« Ich habe das noch nie laut ausgesprochen.
    »Aber nicht wegen einer jüngeren Frau? Nicht wegen einer ehemaligen Referendarin. Weil du Angst davor hast, was die Leute sagen würden?«
    Ich antworte nicht. Ich habe mich schon erklärt. Sie mustert mich weiter mit diesem kühlen, objektiven Blick.
    »Es ist wegen deiner Kandidatur, nicht wahr?«, sagt sie schließlich. »Du entscheidest dich für das Oberste Gericht und gegen mich.«
    Ich weiß sofort: Ich muss lügen. »Richtig«, sage ich.
    Sie stößt ein kurzes höhnisches Schnauben aus, hebt dann den Kopf, um ihre unterkühlte Einschätzung fortzusetzen. Sie sieht

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